Helsinki Finnlands Regierungschef vor der Abwahl

Helsinki · Die tiefe Wirtschaftskrise ist das beherrschende Wahlkampfthema in dem skandinavischen Land.

Der einstige EU-Musterschüler Finnland steckt seit dem Wegfall von Nokia und dem Niedergang der Papierindustrie durch die Digitalisierung in einer tiefen Krise. Am kommenden Sonntag wählt das Land mit 5,4 Millionen Einwohnern ein neues Parlament. Der Wahlkampf dreht sich vor allem um die Bewältigung der umfassenden wirtschaftlichen Probleme.

Es fehlen neue erfolgreiche Wirtschaftsprojekte. Auch die RusslandSanktionen machen dem Land schwer zu schaffen. Russland ist nach Deutschland und Schweden Finnlands wichtigster Handelspartner. Selbst der amtierende bürgerliche Ministerpräsident Alexander Stubb von der Nationalen Sammlungspartei sprach von einem "verloren Jahrzehnt" für sein Land. Finnlands Lohnkosten und Steuern gehören zu den höchsten im Norden, der Arbeitsmarkt gilt als unflexibel, Sozialleistungen als zu generös. Die staatliche Verwaltung und das Gesundheitswesen seien uneffektiv, betont Stubbs Partei.

Der Ministerpräsident kündigte zwar umfassende Struktur- und Sparreformen an, konnte die Wählerschaft aber Umfragen zufolge nicht davon überzeugen, dass er das Zeug dazu hat, Finnland aus der Krise zu führen. Stubbs große Koalition, an die auch die Sozialdemokraten und zeitweise sogar die Linkspartei und die Grünen beteiligt waren, gilt als handlungsschwach.

Stubb übernahm den Posten des Regierungschefs erst im vergangenen Sommer von dem zum EU-Kommissar berufenen Jyrki Katainen. Derzeit liegt Stubbs bürgerliche Partei in den Umfragen mit 16 Prozent rund zehn Punkte hinter der sozialliberalen Zentrumspartei. Deren Spitzenkandidat, der wohlhabende Ex-Unternehmer Juha Sipilä, ist klarer Favorit, vor allem weil er Handlungskraft symbolisiert und nicht aus der Politik kommt. Sipilä hat seine Firmen verkauft, um sich uneigennützig dem Wohl Finnlands zu widmen, so die in der Bevölkerung weit verbreitete Meinung.

Die politischen Programme der großen Mitte-Parteien unterscheiden sich kaum. Da sowohl die Sammlungspartei als auch das Zentrum und die Sozialdemokraten traditionell nur um die 20 Prozent der Stimmen erhalten, ist man die Kooperation und vor allem den Kompromiss gewöhnt. "Wahrscheinlich wird Sipilä, wenn er nun gewinnt, eine Koalition mit den Sozialdemokraten und den fremdenfeindlichen ,Wahren Finnen' anstreben", sagt Kimmo Grönlund, Politikprofessor an der Universität Åbo. Eine solche Regierung werde EU-skeptischer sein und neben Sparmaßnahmen mehr Kredite aufnehmen, um die Wirtschaft zu stimulieren.

(RP)
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