Analyse Flitterwochen auf Polnisch

Warschau · Zwischen die rechtsnationale polnische Regierung und die katholische Kirche passt kein Blatt Papier - dieser Eindruck drängt sich derzeit auf. Aber das Verhältnis ist kompliziert. Mögliche Bruchlinien zeigen sich bereits.

Analyse: Flitterwochen auf Polnisch
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Polen befindet sich seit Wochen in einem gesellschaftlichen Ausnahmezustand. Die radikale Reformpolitik der rechtsnationalen Regierung unter Führung der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), die das Verfassungsgericht entmachtet und die staatlichen Medien auf Parteilinie gebracht hat, treibt Kritiker und Befürworter auf die Straße. Die Debatte macht auch vor der mächtigen katholischen Kirche nicht halt - erst recht nicht, seit die Europäische Union eine rechtsstaatliche Prüfung der polnischen Regierungspolitik auf den Weg gebracht hat.

"Aus dem Mund einiger westeuropäischer Politiker sind Vorwürfe an die Adresse unseres Landes zu hören", stellte der Vizevorsitzende des Episkopats, Erzbischof Marek Jedraszewski, in seiner Neujahrsansprache fest, um sich kurz darauf zu empören: "Diese Politiker wollen, dass Europa seine christlichen Wurzeln verleugnet. Ihre Worte zeugen von einem Mangel an Respekt für den Willen der polnischen Bevölkerung, die eine neue Führung gewählt hat und sich dabei von christlichen Werten leiten ließ."

Wer solche Reden hört, dem drängt sich der Eindruck auf, dass kein Blatt zwischen die katholische Kirche, und die erzkonservative PiS und deren mächtigen Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski passt. Das kann kaum ohne Folgen bleiben, denn rund 90 Prozent der Polen bekennen sich zum katholischen Glauben. Vor diesem Hintergrund erklärt der Warschauer Politologe Rafal Chwedoruk: "Wer in Polen Macht ausüben will, der darf keine Politik gegen den Klerus machen."

Chwedoruks Universitätskollege Pawel Borecki, ein Experte für Religionsrecht, geht noch weiter: "Die Kirche will jetzt die Früchte ihrer Partnerschaft mit der PiS ernten", vermutet er. Wörtlich spricht Borecki sogar von einer "Eheschließung" zwischen Partei und Kirche. Umso schmerzhafter könnte früher oder später die Scheidung werden, denn die polnische Wirklichkeit ist weit komplizierter, als es Bischöfe und PiS-Granden derzeit erkennen lassen.

Jüngstes Beispiel ist die Flüchtlingspolitik. Die Kaczynski-Partei positionierte sich im Wahlkampf des vergangenen Herbstes vehement gegen die Aufnahme Asylsuchender. Kaczynski warnte vor "Cholera, Ruhr und allen Arten von Parasiten", die Ausländer nach Europa einschleppen könnten. Die katholischen Bischöfe dagegen folgten Papst Franziskus und mahnten zu mehr Barmherzigkeit. "Wir müssen Flüchtlinge bedingungslos aufnehmen", erklärte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Posener Erzbischof Stanislaw Gadecki, und ließ landesweit Messen für Schutzsuchende abhalten. Nicht vergessen sein dürften auf beiden Seiten auch manche Kontroversen der Vergangenheit. In der ersten Regierungszeit der PiS zwischen 2005 und 2007 hatte der damalige Regierungschef Kaczynski eine gesamtgesellschaftliche Durchleuchtung lanciert, die "Lustration". Erklärtes Ziel war es, alte kommunistische Seilschaften aufzuspüren und ihre Netzwerke zu zerstören. Dabei machten Kaczynskis Spürhunde auch vor der Kirche nicht halt. Laien, Priester, selbst Bischöfe sollten sich verantworten - eine "Hexenjagd", wie Kritiker sich empörten. Die Aktion fand bald ein jähes Ende, als die Regierungskoalition zerbrach und Kaczynski die Neuwahl krachend verlor.

Im Jahr 2010 war es dann die offizielle Kirche, die der PiS und insbesondere Kaczynski persönlich die kalte Schulter zeigte. Nach der Flugzeugkatastrophe von Smolensk, bei der Kaczynskis Zwillingsbruder Lech, der Staatspräsident, ums Leben kam, hatten Anhänger des tödlich verunglückten Staatsoberhaupts ein Holzkreuz vor dessen Amtssitz aufgestellt, das der neue Staatschef Bronislaw Komorowski entfernen lassen wollte. Alle Versuche aus Reihen der Kaczynski-Partei, die Kirche zum Kampf für das Kreuz zu mobilisieren, scheiterten. Im Episkopat wollte sich niemand für den politischen Kampf der PiS instrumentalisieren lassen.

Angesichts dieser Historie wird es spannend sein zu beobachten, wie lange die "Flitterwochen" zwischen der neuen Regierung und der katholischen Kirche dauern. Als eine Sollbruchstelle in der Ehe haben Beobachter bereits die geplante Bildungsreform der PiS ausgemacht, der zumindest ein Teil der rund 600 katholischen Schulen im Land zum Opfer fallen könnte.

Ex-Außenminister Grzegorz Schetyna, der die abgewählte rechtsliberale Bürgerplattform als künftiger Vorsitzender gern zu neuer Stärke führen würde, hat im Stile eines verstoßenen Liebhabers die "Rückeroberung der Kirche" zum Ziel seiner Partei erklärt. Der Publizist und Kirchenkenner Adam Szostkiewicz hält das allerdings für Wunschdenken. In Polens Kirche gebe derzeit die "Thorner Richtung" den Ton an. Thorn (Torun) ist die Heimat des berühmt-berüchtigten Senders "Radio Maryja". Er gehört wie das befreundete "TV Trwam" ("Ich harre aus") und die Zeitung "Nasz Dziennik" ("Unsere Tageszeitung") zum Medienimperium des Redemptoristenpaters Tadeusz Rydzyk, der seit fast 25 Jahren als Sprachrohr der katholischen Fundamentalisten in Polen gilt. Vor vielen Kirchen wirbt ein Schild für den Sender, der auch mit antisemitischen Parolen auffällig wurde. So hatte Rydzyk 2007 behauptet, die Aufarbeitung eines Pogroms 1941 habe Juden dazu gedient, "von Polen 65 Milliarden Dollar zu ergaunern". Und Präsident Lech Kaczynski sei ein "Betrüger, der sich der jüdischen Lobby fügt".

Trotz solcher Ausfälle ist Radio Maryja ein treuer Verbündeter der polnischen Rechten. Daher ließ es sich Jaroslaw Kaczynski nach dem Triumph der PiS im Herbst auch nicht nehmen, Rydzyk zu danken: "Ohne Radio Maryja hätte es diesen Sieg nicht gegeben." Der Sieg sei die "Bestätigung der Wahrheit: Das Fundament des Polentums ist die Kirche und ihre Lehre", fügte Kaczynski hinzu. "Es gibt kein Polen ohne die Kirche."

(RP)
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