Bundeswehreinsatz in der Ägäis Deutschlands Kampf gegen die Schleuser

Izmir · Um die lebensgefährlichen Schleuseraktivitäten auf See einzudämmen, hat die Nato einen eigenen hochmodernen Einsatzverband unter deutschem Kommando in die Ägäis geschickt. Es wurde eine in Teilen bizarre Marine-Mission.

 Eskortiert von einem Schnellboot, verlässt der deutsche Nato-Einsatzgruppenversorger "Bonn" den Hafen von Izmir.

Eskortiert von einem Schnellboot, verlässt der deutsche Nato-Einsatzgruppenversorger "Bonn" den Hafen von Izmir.

Foto: Markus Schreiber/AP

Auf den Bildschirmen in der Operationszentrale im Bauch von Deutschlands größtem Kriegsschiff "Bonn" verfolgen die Bundeswehrsoldaten die Bewegung jedes Schiffes, das sich steuerbord oder backbord bewegt. Vom Tanker bis zur Jolle. An dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt haben fast alle offensichtlich ein Ziel: nach Osten, nach Izmir. Wären sie auf westlichem Kurs, ein wenig weiter nördlich oder südlich, dann würden die Militärs noch genauer hinschauen. Denn hier, in der Ägäis, liegen zwischen dem türkischen Festland und den griechischen Inseln nur fünfzehn, zwölf, zehn Kilometer.

An einer Stelle sind es sogar nur 3000 Meter zwischen den syrischen Flüchtlingen in der Türkei und der Europäischen Union. Seit März patrouilliert die "Bonn" mit sechs anderen Nato-Schiffen entlang den fünf Inseln, auf denen noch im Herbst täglich Tausende Flüchtlinge landeten. Der Auftrag der "Bonn": die Schlepper-Aktivitäten zu unterbinden, indem Türken und Griechen auf verdächtige Boote aufmerksam gemacht werden.

Wie viele sind es heute? "Keine Sichtung", meldet Admiral Jörg Klein. Gestern wurde ein Flüchtling auf einer Freizeitjacht entdeckt. Es sind auch schon mal 60 auf einem großen Schlauchboot gewesen, mehrere Meldungen pro Tag aus jedem der drei Einsatzgebiete entlang der griechisch-türkischen Grenze. Oder eben: keiner. In vergangener Zeit sind es deutlich weniger als noch im letzten Herbst, als täglich Tausende übersetzten.

Seit dem 7. März ist der deutsche Admiral als Befehlshaber der Nato-Ägäis-Mission vor Ort. Immer wieder versprechen sich die Militärs an Bord, wenn sie "Einsatzpläne" erwähnen oder auf die "Einsatzgebiete" eingehen. So sind sie es gewohnt. Doch hier haben sie es nur mit einer "Tätigkeit" der Nato in einem "Aktivitätsraum" zu tun. Deshalb gibt es für die Soldaten auch keinen einsatzbedingten Zuschlag zum Sold. Und deshalb hat der Bundestag für die "Aktivität" auch kein Mandat erteilt.

Es muss für einsatzerfahrene Militärs eine besondere Herausforderung sein, derartigen diplomatischen Anforderungen gerecht zu werden. Das wird in der Offiziersmesse der "Bonn" deutlich. An den Wänden des Einsatzgruppenversorgers hängen eine Messing-Wandlampe mit Schirmchen, ein Poster vom Poppelsdorfer Schloss und der Kreuzer "Emden" der kaiserlichen Marine in Öl. Auf dem Koppelschloss von Admiral Klein prangt eine Schiffssilhouette mit der Aufschrift "Bayern". Auf diesem Zerstörer fuhr er als junger Offizier. Ausgebildet für den Einsatz.

30 Jahre später sagt er als Admiral den Satz: "Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir hier erreicht haben". Und zwar auf die Frage, ob die Marine-Mission gefährdet wird, wenn die Türkei aus dem Flüchtlingsabkommen aussteigt. Und wenn er gefragt wird, ob die Griechen und die Türken die Überwachung auch alleine ohne die Nato hinbekämen, dann antwortet er: "Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir hier erreicht haben."

Man könnte es auch Rumeiern nennen. Und so hält er es auch mit den Antworten auf die Fragen nach der Bilanz der "Aktivität". Wie viele Flüchtlingsboote hat die Nato den Türken und den Griechen gemeldet? "Eine ganze Anzahl", sagt der Admiral. Das ist ungewöhnlich, wo die Marine doch jeden Vorgang exakt festhält und mit Zahlen über die "Bonn", ihre 20.000 Tonnen Einsatzverdrängung, ihre zwei 10.000-PS-Motoren, ihre vier 27-Millimeter-Marineleichtgeschütze, gerne nach vorne geht. Doch auch auf mehrfache Nachfrage nach der Zahl der entdeckten Schleuser-Aktivitäten sagt Klein immer nur: "eine ganze Anzahl".

Dahinter steckt ein beispielloser Vorgang, der Anfang Februar in Brüssel Fahrt aufnahm. Auf der Suche nach militärischer Unterstützung der nicht funktionierenden Sicherung der EU-Außengrenzen machte Deutschland Druck in Richtung eines Nato-Einsatzes, pardon: einer Nato-Aktivität. Und zwar zur Überwachung der türkischen Küste in ausgewählten Abschnitten. Die fast 100 Kriegsschiffe der Türkei könnten das sicherlich selbst ohne Probleme, zumal Griechen und Türken in der Nato-Mittelmeer-Einsatzgruppe präsent sind. Und auch jetzt wird die "Bonn" von der türkischen Küstenwache begleitet.

Flüchtlingsdrama im Mittelmeer – Boot kentert
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Foto: afp

Doch hier sollte die Nato zwei Mitglieder auf die Sprünge helfen. Das war schwer genug. In Brüssel einigten sich Athen und Ankara anfangs nicht einmal auf gemeinsame Bezeichnungen für einzelne Regionen, weil hier noch immer alte Konflikte lauern. Doch an Bord der "Bonn" sprechen die türkischen und griechischen Verbindungsoffiziere unproblematisch miteinander. Auch Klein lobt die "hervorragende Kommunikation" mit Türken, mit Griechen und mit der EU-Grenzschutztruppe Frontex.

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Foto: afp, MM

Die "Aktivität" hat die Bundeswehr-Soldaten erwischt, als sie gerade auf Ausbildungstour waren. Eigentlich hätten sie heute Casablanca verlassen, wären zu ihrer letzten Station nach Málaga gefahren. Stattdessen Boote-Sichten in der Ägäis. Ende Juni geht es für sie zurück nach Wilhelmshaven. Dann übernehmen die Nachfolger. Und auch sie werden sich wohl "auf das Erreichte konzentrieren".

(may)
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