Brüssel Flüchtlinge: Offener Streit in der EU

Brüssel · Tausende strömen über die Balkanroute Richtung Mitteleuropa. Ein Krisengipfel sollte Notmaßnahmen beschließen, um den Zustrom in den Griff zu bekommen. Stattdessen gab es gegenseitige Vorwürfe.

Der anhaltende Flüchtlingsandrang stellt Europa vor eine Zerreißprobe. Bei einem kurzfristig angesetzten Krisentreffen zwischen Ländern der Region und zehn EU-Staaten traten die Spannungen gestern in Brüssel offen zutage. Die Staats- und Regierungschefs konnten sich zunächst nicht auf eine gemeinsame Erklärung einigen, wie die dramatische Lage auf der Flüchtlingsroute über den Westbalkan entschärft werden soll. Stattdessen beschuldigten die Staaten sich gegenseitig, für die Eskalation verantwortlich zu sein. Beobachter berichteten von einer "katastrophalen Stimmung".

Täglich strömen Tausende Menschen über Mazedonien und Serbien in Richtung Österreich und Deutschland. Die meist aus dem Bürgerkriegsland Syrien stammenden Menschen kommen über die Türkei in die EU. Unter den Flüchtlingen sind auch viele Frauen und Kleinkinder - oft nur notdürftig gegen Nässe und Kälte geschützt.

An dem Sondergipfel gestern nahmen die EU-Staaten Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Rumänien, Slowenien und Ungarn sowie die Nicht-Mitgliedsländer Mazedonien, Albanien und Serbien teil. Auf dem Tisch lag ein Erklärungsentwurf, in dem sich die Staaten verpflichten sollten, "die Kapazitäten unserer Länder zu steigern, vorübergehendes Obdach, Rastplätze, Nahrung, Gesundheitsdienste, Wasser und sanitäre Einrichtungen zur Verfügung zu stellen". Wenn das nicht ausreichend gelinge, sollten die Regierungen nach einem 16-Punkte-Plan von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Katastrophenfall ausrufen, Finanzhilfe bei den europäischen Förderbanken beantragen und sich außerdem vom UN-Flüchtlingshilfswerk unterstützen lassen.

Vorgesehen war auch eine Aufstockung des Grenzschutzes. Dazu sollten 400 neue Grenzschützer an den EU-Außengrenzen eingesetzt werden. Die EU-Kommission hatte auch eine Operation der Grenzschutzagentur Frontex an der Grenze Griechenlands zu Mazedonien und Albanien vorgeschlagen. Geplant war zudem eine schnellere Abschiebung nicht bleibeberechtigter Menschen unter anderem aus Afghanistan und dem Irak. Auf dem Balkan sollte es ein geordnetes Verfahren zur Registrierung und Versorgung geben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, es gehe "um Linderung, um vernünftiges Obdach, um Wartemöglichkeiten und Ruhemöglichkeiten für die Flüchtlinge". Eine europäische Lösung würde bedeuten, dass die Transitstaaten selbst mehr Schutzsuchende aufnehmen müssten - zumindest bis über ihre Verteilung oder Abschiebung entschieden ist. Dass Juncker auf Anregung Merkels mit dem Treffen die "Politik des Durchwinkens von Flüchtlingen in ein Nachbarland" beenden wollte, stieß daher schon im Vorfeld auf Widerstand. Der für Einwanderung zuständige griechische Minister Giannis Mousalas betonte, "dass wir aus unserem Land kein riesiges Flüchtlingslager machen können". Bulgarien, Rumänien und Serbien erklärten, nicht zur "Pufferzone" für Migranten werden zu wollen.

Man müsse aufhören, forderte dagegen Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann, "Menschen zum Nachbarn zu schieben". Der slowenische Regierungschef Miro Cerar machte in diesem Zusammenhang Kroatien schwere Vorwürfe, dessen Sicherheitskräfte die Flüchtlinge "einfach in den Grenzfluss geschoben" hätten. Kroatien wiederum kritisierte Griechenland, weil es seine Seegrenze nicht kontrolliere.

(zie/RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort