Brüssel Flüchtlingskrise stellt offene Grenzen in Europa infrage

Brüssel · Die EU scheitert am eigenen Ziel, 60 000 Asylbewerber zu verteilen. Das bedroht auch das Schengen-Abkommen.

Bis Ende Juli, so lautete der Beschluss der europäischen Staats- und Regierungschefs vor rund einem Monat, würden sich die 28 EU-Staaten darüber verständigen, wie sie 60 000 Flüchtlinge untereinander verteilen. Eine verpflichtende Quote, von der EU-Kommission vorgeschlagen, war damals in einer emotional aufgeladenen Nachtsitzung nicht konsensfähig - doch die Zahl bleibt.

Zwar wurde im Rahmen freiwilliger Aufnahmeangebote das Kontingent von 20 000 Flüchtlingen, die direkt aus den Krisengebieten in Afrika und Nahost nach Europa geholt werden sollen, mit 22 504 mehr als erfüllt. Jedoch blieben die EU-Innenminister weit hinter der Vorgabe zurück, den überforderten Mitgliedstaaten Italien und Griechenland 40 000 Asylbewerber abzunehmen. Am Ende summierten sich die Zusagen nur auf 32 256 Personen - insgesamt werden also knapp 55 000 statt der angepeilten 60 000 Flüchtlinge umgesiedelt.

Von einer "hanebüchenen Blamage" spricht angesichts der Tatsache, dass die Türkei allein fast zwei Millionen Syrien-Flüchtlinge aufgenommen hat, die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller: "Es läuft grundlegend etwas schief, wenn Mitgliedstaaten bei Fragen der Solidarität dermaßen auf stur stellen und nach dem Motto handeln: Sollen sich doch die anderen um die Flüchtlinge kümmern."

Diese "beispiellose Entsolidarisierung", von der ein EU-Diplomat kürzlich in Bezug auf die Flüchtlingsverteilung sprach, wirft nicht nur moralische Fragen auf. Auf höchster Ebene wird bereits gewarnt, sie könne auch die offenen Grenzen in Europa gefährden. "Wenn wir nicht zu einer fairen Lastenverteilung kommen, was die Aufnahme von Flüchtlingen anbelangt, wird das Schengen-Abkommen, das die Freizügigkeit garantiert, keinen Bestand haben", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Das hat damit zu tun, dass das sogenannte Dublin-System, wie Innenminister Thomas de Maizière es formulierte, "erodiert". Die Länder, die laut EU-Recht verpflichtet sind, für neu in Europa ankommende Flüchtlinge das Asylverfahren durchzuführen, statten diese häufig mit Schengen-Visa aus, mit denen sie etwa nach Deutschland oder Frankreich weiterreisen können. Mitte Juni blockierte die französische Gendarmerie daher den Grenzübergang an der Côte d'Azur. Und auch die Erkenntnisse der deutschen Polizei nach dem G7-Gipfel Anfang Juni in Bayern, als vorübergehend Kontrollen stattfanden und zahlreiche illegale Grenzübertritte festgestellt wurden, haben hierzulande zu Forderungen nach einer Schengen-Auszeit geführt.

Im nächsten Jahr steht in der EU ein "Fitness-Check" für das Dublin-Verfahren an. Weiterer Streit ist also programmiert.

(RP)
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