Havanna Flüchtlingspolitik unter Palmen

Havanna · Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) wollte bei seiner Reise nach Kuba auch mal kurz durchschnaufen. Nach der demütigenden Parteitagsklatsche hätte das dem SPD-Chef gutgetan. Doch in Havanna holt ihn die Asylpolitik wieder ein.

Sigmar Gabriel steht in der Altstadt von Havanna, durch eine Gasse kann er in der Ferne das eingerüstete Capitol der kubanischen Hauptstadt erkennen. "Ein toller Anblick", schwärmt der Vizekanzler. In ein paar Jahren soll das Parlament der Einheitsregierung wieder dort einziehen, noch wird aber die mächtige Kuppel des Gebäudes restauriert, die höher ist als beim langjährigen Klassenfeind in Washington. Gabriel biegt spontan nach rechts in eine offenstehende Haustür ab und steht mitten in einer Schule. Er sei früher mal Lehrer gewesen, erklärt der SPD-Chef der überraschten Schulleiterin, die herbeizitiert wird. Nach wenigen Minuten verlässt er mit dem Tross aus Stadtführern, Dolmetschern, Botschaftsangehörigen und Medienvertretern wieder das Gebäude mit den Worten, in Deutschland seien die meisten Schulen ja leider aus historischen Stadtzentren verbannt worden. Eineinhalb Stunden wird er durch die überraschend gut erhaltene Altstadt geleitet, ein Programmpunkt, den der historisch bewanderte Politiker sichtlich genießt.

Denn eigentlich ist Gabriel als Wirtschaftsminister mit gleich 60 deutschen Unternehmern auf die sozialistische Insel gereist, um die Möglichkeiten für künftige Investitionen in der sich langsam öffnenden Planwirtschaft auszuloten. Er absolviert ein strammes Programm, trifft mehrere Minister, den Erzbischof und Jugendliche aus der stark kontrollierten und teils unterdrückten Zivilgesellschaft. Gabriel spricht die Verletzung von Menschenrechten an, bei einer Besichtigung des Revolutionsplatzes gar öffentlich, so dass manche kubanische Beobachter schon die Chancen auf ein Treffen mit dem Staatschef schwinden sahen.

Der SPD-Chef ist zum ersten Mal auf Kuba - und es ist die erste Reise nach der Klatsche beim SPD-Parteitag in Berlin, als ihm Mitte Dezember ein Viertel der Genossen die Gefolgschaft verweigerte. Er entschied sich, nicht das Handtuch zu werfen und bleibt auch mit demütigenden 74,3 Prozent Vorsitzender und Kanzlerkandidat seiner Partei. Jetzt arbeitet er stur weiter, stellt sich den anfallenden Aufgaben. Da soll die Reise nach Kuba eine willkommene Abwechslung für ihn sein, eine kurze Auszeit vom mitunter nervtötenden Berliner Betrieb und dem neuerlichen Hickhack um die Flüchtlingspolitik.

Zumal Gabriel mit der Insel mehr verbindet, als nur das Dienstliche. Im Jahr 1959 geboren, neun Monate nach dem Sieg der Kubanischen Revolution, war Gabriel später fasziniert davon, was Castro und seine Mitstreiter erreicht hatten. Die Batista-Diktatur aus dem Palast zu jagen, war auch das Werk von Freiheitskämpfer Che Guevara. Gabriel hatte ein Che-Poster in seinem Jugendzimmer. Heute hat er eine Schwäche für kubanische Zigarren, an beiden Abenden der Reise steckt er sich in einem Korbsessel auf der Terrasse des glanzvollen Hotel Nacional "Cohibas" an, auch wenn Gabriel nach eigenen Worten nichts von nostalgischer "Revolutionsromantik" hält. Er habe gemischte Gefühle gegenüber Kuba, sagt er. Doch während er auf dem Hinflug noch die Gewissheit ausstrahlt, auch mal drei Tage von zu Hause wegsein zu können, ohne die Möglichkeit zu verpassen, die Welt zu retten, muss Gabriel nun erkennen, dass ihn die Themen zu Hause nicht loslassen. Er wird eingeholt von der Bundespolitik und äußert sich als Reaktion auf die Kölner Vorkommnisse offiziell zu kriminellen Flüchtlingen. Gabriel schließt auch Abschiebungen nach Syrien nicht aus, sollten sich Flüchtlinge von dort etwas in Deutschland zu Schulden kommen lassen oder "die deutsche Bevölkerung angreifen".

Das Statement, das Gabriel bei der Altstadtführung vor laufenden Kameras nach einem Interview mit der "Bild"-Zeitung wiederholt, ist ungewöhnlich in gleich dreierlei Hinsicht: Erstens gilt die Regel, dass sich Politiker auf Auslandsreisen nicht zu innenpolitischen Themen äußern, die Kanzlerin tut das nie. Zweitens schlägt Gabriel nach Merkels eindeutiger Positionierung zu den Übergriffen in Köln bemerkenswert scharfe Töne an, um auch den Kurs der SPD klar abzustecken. Kriminelle und verurteilte Asylbewerber will er abschieben, notfalls auch syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. "Ich glaube, dass der alte Satz von Gerhard Schröder: Kriminelle Ausländer haben in Deutschland nichts zu suchen, dass der natürlich richtig ist", sagt Gabriel.

Schärfere Gesetze will der Vizekanzler nicht ausschließen, und Staaten gar Entwicklungshilfe kürzen, wenn sie ihre straffällig gewordenen Staatsbürger nicht zurücknähmen. Und das ist drittens ungewöhnlich, weil Gabriel damit seiner Fraktion vors Schienbein tritt, die nach dem katastrophalen Parteitag ausgerechnet während Gabriels Havanna-Trip eine wichtige Fraktionsklausur zur Innenpolitik abhält. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hatte sich da schon deutlich zurückhaltender zur Flüchtlingspolitik geäußert. Wieder einmal offenbart die Parteispitze also Schwächen bei der Abstimmung.

Und so wird es in einer Woche bei der SPD-Vorstandsklausur im brandenburgischen Nauen mit Sicherheit ausreichend Gesprächsstoff geben. Vielleicht sehnt sich Gabriel ja dann hin und wieder in den Korbsessel des Hotel Nacional und zu einer qualmenden "Cohiba" zurück.

(jd)
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