Analyse Foulspiel beim Doppelpass

Berlin · Die CDU hat bei ihrem Parteitag dafür gestimmt, die Möglichkeit zur doppelten Staatsbürgerschaft zurückzudrehen. Man kann das so sehen. Die Entscheidung darf aber nicht von Augenblicks-Konstellationen abhängen.

Analyse: Foulspiel beim Doppelpass
Foto: dpa, ped soe tba

Der Doppelpass ist im Fußball ein bewährtes taktisches Mittel, den Ball ins Tor zu kriegen. Klappt nicht immer, aber oft. Der Erfolg ist jedenfalls messbar. Der Doppelpass in Form der doppelten Staatsbürgerschaft dient laut Gesetzesbegründung in der Politik dazu, die Integration von Menschen mit ausländischen Wurzeln in Deutschland zu erleichtern. Ob das klappt, lässt sich schwer messen. Und deshalb war es für eine 319-zu-300-Stimmen-Mehrheit beim CDU-Bundesparteitag vergangene Woche in Essen das ideale Mittel, um das Profil der Partei zu schärfen.

Denn der Doppelpass gehörte nie zum Markenkern der CDU, ganz im Gegenteil: Der hessische CDU-Politiker Roland Koch konnte Anfang 1999 mit Hilfe einer Kampagne gegen die von der neuen rot-grünen Bundesregierung geplante Doppelstaatsbürgerschaft so viele Anhänger mobilisieren, dass ihm überraschend der CDU-Wahlsieg im roten Hessen gelang. Unionspolitiker haben den Doppelpass seitdem als Möglichkeit abgespeichert, Stimmung für die eigene Sache zu machen. Umgekehrt steht seitdem im rot-grünen Lager jede Politik gegen den Doppelpass unter dem Verdacht, Ausländerhass zu schüren. Stets wird daran erinnert, dass Bürger an die hessischen CDU-Stände mit der Frage herangetreten seien: "Kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?"

Der Umgang mit der Nationalität eines Menschen ist vielen historischen Wandlungen und regionalen Besonderheiten unterworfen. Bringt eine Schwangere während eines Fluges von Hamburg nach San Francisco über den USA ihr Kind zu Welt, so ist es Amerikaner. Dahinter steht die Auffassung, dass der Geburtsort allein maßgeblich für die Staatsangehörigkeit ist. Dieses Prinzip galt bis ins 19. Jahrhundert auch in Deutschland, wurde 1913 jedoch abgeschafft. Fortan gab es nur noch das Abstammungsrecht. Ius sanguinis statt ius soli - Blut statt Boden.

Mit der zunehmenden Zahl von Ausländern, die Deutschland als dauerhafte neue Heimat wählten, kam das Blutsrecht unter Druck, wuchs die Neigung, den in zweiter Generation aufwachsenden Kindern zur faktischen Zugehörigkeit zu Deutschland auch die rechtliche zu geben. Die heutige Form der doppelten Staatsbürgerschaft kam in zwei Schritten. Zunächst ermöglichte Rot-Grün den hier geborenen Kindern ausländischer Eltern ab dem Jahr 2000 automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Aber wenn sie über ihre Eltern auch noch einen anderen Pass besaßen, hatten sie sich zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr zu entscheiden: behalten sie die deutsche oder die andere? Sie mussten optieren.

Dieser Optionszwang hatte sich nach Auffassung der SPD nicht bewährt. Im Umgang mit EU-Ausländern verzichtete Deutschland ohnehin darauf. Also war es vor allem auf Kinder türkischer Einwanderer anzuwenden, und von denen wollten viele sowohl die Rechte in ihrem Heimatland Deutschland wahrnehmen als auch ihre Bindungen und Familientraditionen zum Herkunftsland Türkei nicht kappen. Für die SPD wurde das Ende der Optionspflicht zur Bedingung für eine Koalition mit der Union. Nachdem CSU-Chef Horst Seehofer den Doppelpass bereits bei den Sondierungen mit den Grünen auf dem Silbertablett angeboten hatte, wurde dieser Punkt in den Verhandlungen mit der SPD 2013 nicht mehr zum Streitpunkt. Die Pflicht, sich zu entscheiden, fiel Ende 2014.

Erhalten blieb eine Reihe von Voraussetzungen: Ihren deutschen und einen anderen Pass behalten darf nun eine Person, deren Eltern Ausländer sind, die selbst hier geboren wurde, die an ihrem 21. Geburtstag mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt und sechs Jahre eine Schule nebst deutschem Abschluss besucht hat.

Die Debatte galt als befriedet. Zwar stand hinter der Politik von SPD und Grünen auch eine Umfrage, wonach 2013 in der Bundestagswahl 64 Prozent der türkischstämmigen Wähler SPD, zwölf Prozent die Grünen und nur sieben Prozent die Union gewählt hatten. Doch nicht erst die wachsende Zahl von Türkeistämmigen in der Union beförderte die Erwartung, dass die neuen Deutschen künftig auch vermehrt die CDU wählen würden.

Das schrille Auftreten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat die Ruhe an der Doppelpassfront beendet. Seine Politik der Verhaftungen und Verfolgungen nach dem verhinderten Militärputsch steht im Gegensatz zu deutschen Wertvorstellungen. Dass Deutschtürken Erdogan feiern, führt deshalb zur Frage nach ihrer Loyalität: Wem fühlen sich Menschen mit zwei Pässen verpflichtet? Müssen sie sich nicht doch entscheiden?

Diese Sichtweise ist nachvollziehbar. Es würde deshalb auch nicht schaden, die nach politischen Richtungswechseln nach einiger Zeit oft vorgenommene Evaluierung auch beim Doppelpass vorzunehmen: Hat er die Integration befördert, wie es die Befürworter glauben? War er ohne Auswirkungen oder gar erschwerend, weil der Nachweis einer Entscheidung für Deutschland und seine Werte nicht mehr nötig ist?

Die Entscheidung für den Doppelpass allgemein und für die türkisch-deutsche Staatsbürgerschaft sollte jedenfalls nicht von Augenblicks-Konstellationen abhängen. Ob der Inhaber mehr mit der Erdogan-Türkei oder mehr mit dem Merkel-Deutschland sympathisiert, kann morgen schon überholt sein. Nicht aber seine Entscheidung, zu besseren Bedingungen in beiden Ländern beitragen zu wollen. Vor allem sollte eine weitere Relation berücksichtigt werden: Laut Auswertung der Melderegister hatten 2011 bereits 530.000 Deutsche einen zusätzlichen türkischen Pass - aber auch 570.000 Deutsche einen russischen Pass. Von den Hunderttausenden Doppelpasslern aus EU-Mitgliedstaaten ganz zu schweigen.

(may-)
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