Analyse Bundeswehr nach Syrien?

Berlin · Frankreich setzt nach den islamistischen Terroranschlägen erstmals die Unterstützungspflicht der Partner nach dem EU-Vertrag in Kraft. Hilfserwartungen richten sich nun auch an Deutschland.

Frankreich will Hilfe aus Deutschland: Bundeswehr nach Syrien?
Foto: dpa, gam lof jhe kno

Deutschland wird sich nach den bestialischen Anschlägen in Paris aller Voraussicht nach deutlich stärker am Kampf gegen den islamistischen Terrorismus beteiligen als seinerzeit nach den Angriffen am 11. September 2001 auf die USA. Dies folgt aus einer zangenartig eingegangenen Verpflichtung.

Bereits am Morgen nach der Nacht des Terrors hatte Angela Merkel Frankreich "jede erdenkliche Hilfe" zugesagt. Im Vergleich mit den Selbstverpflichtungen, die die Regierung von Gerhard Schröder (SPD) 2001 gegenüber den USA eingegangen war, reicht "jede erdenkliche Hilfe" über die damals versicherte "uneingeschränkte Solidarität" hinaus. Solidarität kann sich theoretisch auch in einer mitfühlenden Grußkarte ausdrücken. Lediglich das Wort "uneingeschränkt" drückte die Bereitschaft aus, auch gegen typische Bedenken tätig zu werden. Die Zusage jeder erdenklichen Hilfe lässt daran keinerlei Zweifel.

Von der anderen Seite machte auch Frankreichs Staatspräsident François Hollande die Pflicht zur Unterstützung verbindlich, indem er die Karte des bislang wenig bekannten Artikels 42.7 aus dem Lissaboner EU-Vertrag zog: Danach schulden die Mitgliedstaaten im Fall eines bewaffneten Angriffes einander "alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung". Anders als im Bündnisfall nach Artikel 5 der Nato-Charta geht es nicht nur um einen Beistand, den jeder selbst definieren kann. Die EU-Pflicht greift tiefer.

Frankreich denkt nun ganz offenkundig an ein dreidimensionales Vorgehen. Auf der einen Seite will es die direkte militärische Auseinandersetzung mit dem Islamischen Staat bündeln - und hat damit bereits nach zwei Tagen durchschlagenden Erfolg: Nach Bombardements von IS-Stellungen in Rakka in Syrien am Montag nahmen russische Jets sich gestern das gleiche Ziel vor. Antwortete Frankreich auf die Terroranschläge des IS auf Paris, reagierte Moskau auf den nun geklärten Befund, dass eine Bombe den russischen Urlauberjet Ende Oktober über dem Sinai zum Absturz brachte. Damit hatte sich der IS gebrüstet. Nun verkündeten Frankreich und Russland, im Kampf gegen den IS nunmehr koordiniert vorzugehen.

Hollande knüpft zudem an einer erneuerten Allianz gegen die Terrormiliz und bekam bereits vom Iran das Signal, man wolle Frankreich unterstützen. Um einen weiteren wichtigen Machtfaktor in der Region, Saudi-Arabien, hatte sich zuvor auch schon Merkel gekümmert.

Schließlich bekam Frankreich auch die Zustimmung aller EU-Verteidigungsminister, den Mechanismus nach EU-Vertrag auszulösen. Daraus soll jedoch keine eigene EU-Mission folgen. Frankreich will vielmehr bilateral Hilfe bei jedem einzelnen Land abfragen. Von Deutschland wird etwa in einer ersten Phase erwartet, Frankreich beim Mali-Einsatz zu entlasten. In der afrikanischen Bürgerkriegsregion sind derzeit rund 500 Deutsche und 3500 Franzosen im Einsatz. Damit französisches Militär für den Kampf gegen den IS freigesetzt wird, dürfte sich der Bundestag demnächst mit einer deutlichen Ausweitung des Mandats befassen.

An einer direkten Beteiligung deutscher Kampfjets an den Bombardierungen im Irak und in Syrien scheint Paris einstweilen kein Interesse zu haben. Hier setzt es mehr auf eigene Stärke. Hollande beorderte den Flugzeugträger "Charles de Gaulle" ins östliche Mittelmeer. Damit hätte Frankreich seine Schlagkraft auf 36 Kampfjets verdreifacht. Zusammen mit britischen, russischen und US-Flugzeugen wird das zunächst für ausreichend erachtet.

Stattdessen setzt Frankreich darauf, dass Deutschland sich indirekt noch stärker am Aufbau von Bodentruppen beteiligt, die für eine Rückeroberung von Gebieten aus der Hand des IS unerlässlich sind. Derzeit planen weder die USA noch Großbritannien, Russland oder Frankreich, eigene Streitkräfte in die Bodenkämpfe zu schicken. Stattdessen verfolgen sie mit Wohlwollen den deutschen Ansatz, die kurdischen Peschmerga im Norden des Irak mit Waffen und Ausbildung fit für den direkten Kampf gegen den IS zu machen.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums hat die Bundeswehr bislang 4700 Kämpfer ausgebildet und ausgestattet. Die Peschmerga konnten den Spielraum des IS zunächst einschränken, dann viele Dutzend Quadratkilometer zurückerobern. So vertrieben sie erst vor wenigen Tagen mit US-Luftunterstützung den IS aus der nordirakischen Stadt Sindschar. Gleichzeitig loten deutsche Soldaten die Möglichkeiten aus, auch die regulären irakischen Truppen besser auszustatten. Schutzwesten, Helme und Verbandsmaterial wurden bereits geliefert. In Betracht kommen zudem Kommandounternehmen von Spezialkräften - darüber wird jedoch nie öffentlich beraten.

Daneben arbeiten die in der Region hochangesehenen deutschen Diplomaten intensiv an weiteren Schritten, die zu einem Waffenstillstand in Syrien führen können. Das gilt als A und O, um dem IS den Nährboden zu entziehen. Neben Merkel loten auch Vizekanzler Sigmar Gabriel und vor allem Außenminister Frank-Walter Steinmeier aus, welche Szenarien der direkten und indirekten Akteure des Bürgerkrieges mit nun schon über 250.000 Toten zusammengeschoben werden können, um einen Übergang zu geordneten Verhältnissen zu ermöglichen. Teil des Konzeptes ist eine UN-Friedenstruppe, so dass nach einem Ende des heißen Krieges auch deutsche Soldaten für eine Stabilisierungsmission infrage kämen.

Gefragt ist auch Finanzminister Wolfgang Schäuble. Er dürfte Frankreichs Bitte auf den Tisch bekommen, wegen der steigenden Ausgaben im Kampf gegen den Terror nachsichtig damit umzugehen, dass Paris beim Stabilitätspakt die Defizitkurve nicht kriegt.

(may-)
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