Paris Franzosen streiten um Schächtung

Paris · Die Chefin der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, schürt im Präsidentschaftswahlkampf anti-muslimische Gefühle. Sie verbreitet irreführende Behauptungen über sogenanntes Halal-Fleisch, das Muslime ohne religiöse Bedenken essen können.

In Frankreich ist eine hitzige Debatte über "Halal"-Fleisch entbrannt – Fleisch, das von geschächteten Tieren stammt, so wie es der Koran gläubigen Muslimen vorschreibt. Ausgelöst hat die Diskussion Marine Le Pen, Chefin der rechtspopulistischen Front National mit ihrer Behauptung: "Alles Fleisch, das im Großraum Paris vertrieben wird, ist ohne das Wissen der Verbraucher halal."

Auch wenn sich ihre Äußerung inzwischen als Halbwahrheit erwiesen hat, legte Le Pen offenbar doch den Finger in eine Wunde desLandes, das sich mit dem Islam und der Integration der fünf Millionen Muslime noch immer schwer tut. Le Pen poltert: "Die Rinder werden nach einem Ritual einer Religion geschlachtet, der ich nicht angehöre." Traditionell hetzt die blonde Juristin gegen die angebliche Islamisierung ihres Landes. Zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl verschärft sie ihren Ton.

Dies konnte der konservative Amtsinhaber Nicolas Sarkozy freilich nicht so stehen lassen. Bei einem Wahlkampfauftritt auf dem Großmarkt von Rungis, von wo aus der Pariser Großraum beliefert wird, tat er die Behauptung seiner Herausforderin als unwahr und pure "Polemik" ab. Zwischen Metzgern und Rinderhälften stellte der Präsident klar: "Es gibt keine Kontroverse. Jedes Jahr konsumieren wir 200 000 Tonnen Fleisch in Paris und Umgebung. Davon sind lediglich 2,5 Prozent ,halal', das macht 5000 Tonnen."

Sämtliche Fleischproduzenten der Nation geben dem Präsidenten Recht. Gleichzeitig fördern sie aber auch andere Zahlen zutage. Und, wie so oft, liegt die Nuance in der Wortwahl. Richtig ist, dass in allen Schlachthöfen der Ile-de-France die Tiere nach islamischem (und jüdischem) Ritual, das heißt, ohne vorherige Betäubung geschlachtet (geschächtet) werden. Dies heißt freilich nicht, wie Le Pen behauptet, dass 100 Prozent des rund um Paris konsumierten Fleisches auch "halal" ist. Denn die drei Großschlachtereien dort liefern nur die von Sarkozy erwähnten 2,5 Prozent des Fleisches, der große Rest entstammt "traditioneller Schlachtung" und kommt aus anderen Regionen des Landes.

Problematisch ist indes, wie jetzt im Zuge der Polemik zu Tage kam, dass es keinerlei Kennzeichnungspflicht für Halal-Fleisch gibt. Dies räumt auch Dominique Langlois vom größten nationalen Fleischverband Interbev ein. Es könne also vorkommen, dass Fleischteile geschächteter Tiere auf den Tellern von Verbrauchern landen, die darauf gar keinen Wert legen. Auf die Qualität habe die Art der Schlachtung keinen Einfluss, versichert Langlois. Doch viele französische Verbraucher würden zumindest gerne wissen, ob sie gerade ein nach islamischem Ritus geschlachtetes Steak verzehren oder nicht, und könnten bei einer Kennzeichnung – je nach religiöser Überzeugung oder aus Tierschutzmotiven heraus – auch ihre entsprechende Kaufentscheidung treffen. Der Tierschutzverband verurteilt das Schächten als Tierquälerei.

Eine Kennzeichnung des Fleischs lehnt der Staat bisher ab, um, wie es heißt, "die Glaubensgemeinschaften nicht zu stigmatisieren". Halal-Lebensmittel sind indes ein boomendes Geschäft. Der Umsatz mit diesen Produkten wird auf 5,5 Milliarden Euro geschätzt. Le Pen nennt dies "skandalös" und erhält von ihren Anhängern dafür Zustimmung.

Neben den Rechtsradikalen gibt es auch Franzosen, die sich aus gutem Grund Sorgen machen und religiös motivierte Parallel-Gesellschaften befürchten, in denen sich Muslime zunehmend absondern. Auf die Gefahr der wachsenden Bedeutung des strengen "halal" im laizistischen Staat Frankreich hat kürzlich auch der Islam-Forscher Gilles Keppel hingewiesen. Er warnte, dass viele muslimische Kinder die Schulkantinen, wo Halal-Speisen wegen der geltenden Trennung von Staat und Religion verboten sind, meiden und sich während der Mittagszeit selbst überlassen blieben – mit den bekannten sozialen Folgen.

(RP)
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