Analyse Freie Hand für Gentechnik in Europa

Berlin/Straßburg · Das EU-Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das Anbauverbote für gentechnisch veränderte Pflanzen den Mitgliedstaaten überlässt. Die Bundesregierung will dem Anbau in Deutschland aber keine Chance geben.

Am Ende einer jahrelangen Auseinandersetzung ist der Kompromiss mit riesiger Mehrheit akzeptiert worden: Das Europaparlament verabschiedete gestern in Straßburg mit 480 Ja- gegen 159 Nein-Stimmen neue Regeln zum Anbau genveränderter Organismen in der Europäischen Union, die bis spätestens April in Kraft treten werden. Sie bieten den Mitgliedstaaten künftig mehr Rechtssicherheit, wenn sie etwa Genmais auf ihrem Territorium verbieten wollen. Das dürfte auch auf Deutschland zutreffen.

Bisher ist die Lage verfahren: Nur eine Genpflanzensorte wurde bisher europaweit zum kommerziellen Anbau zugelassen, die Mais-Sorte "Mon 810" des US-Konzerns Monsanto. In fünf EU-Staaten wird sie angebaut; neun Staaten, darunter auch Deutschland, zogen daraufhin eine Schutzklausel, die allerdings nur zeitlich begrenzt gilt und von Monsanto vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten wurde. "Mit der jetzigen Rechtslage haben die Mitgliedstaaten überhaupt keine Möglichkeit, den Anbau von Genpflanzen zu verbieten", sagte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese gestern in der Debatte.

Aufgelöst wurde die rund vierjährige Blockade nach einer politischen Blamage im vergangenen Februar: Nachdem die EU-Lebensmittelbehörde in Parma keine wissenschaftlichen Bedenken gegen die Genmaissorte "Pioneer 1507" gefunden hatte, war die EU-Kommission gerichtlich dazu gezwungen worden, den Mitgliedstaaten die Zulassung vorzuschlagen, welche diese wiederum nur mit einer Dreiviertelmehrheit hätten verhindern können. Am Ende reichten dafür die Stimmen von 19 von 28 Mitgliedstaaten nicht, es fehlte unter anderem jene der Bundesregierung. Und das, obwohl einer Umfrage des Bundesamtes für Naturschutz zufolge 84 Prozent der Bürger hierzulande den Anbau gentechnisch veränderter Organismen ablehnen.

Mit der neuen Entscheidung bieten sich nun zwei Möglichkeiten, nationale Anbauverbote auszusprechen. Regierungen können etwa die Hersteller bitten, ein Land schon im Zulassungsantrag auszunehmen, müssen das aber nicht tun. Hier setzte sich das EU-Parlament in den Verhandlungen gegenüber den Plänen des Ministerrats durch, da es krumme Geschäfte im Vorfeld oder starken Lobbyeinfluss befürchtet hatte.

Die Regierungen dürfen in Zukunft vielmehr direkt Anbauverbote aussprechen - und dies auch nicht nur, wenn sie wie bisher neue Forschungserkenntnisse aus dem Hut zaubern können. Es reichen schon "sozio-ökonomische Gründe" oder ein Verweis auf die "öffentliche Ordnung" - eine etwas umständliche Umschreibung für den Widerstand in der Bevölkerung.

"Damit steht auch in Deutschland einer gentechnikfreien Landwirtschaft europarechtlich nichts mehr im Weg", sagte die SPD-Abgeordnete Susanne Melior nach der Abstimmung. Denn der Druck auf die Bundesregierung, entsprechend zu handeln, wird bereits aus dem Bundestag und den Bundesländern vorgetragen. Melior räumte jedoch ein, ihr wäre ein europaweites Anbauverbot "viel lieber gewesen". Denn nun drohe bei den Anbauregeln "ein Flickenteppich in Europa".

Damit sich gerade entlang grüner Grenzen keine naturbelassenen mit gentechnisch veränderten Pflanzen kreuzen, müssen alle Mitgliedstaaten Mindestabstände zu Gensorten definieren, wie es sie in Deutschland bereits gibt: 150 Meter zu einem Feld mit konventioneller Landwirtschaft, 300 Meter zu Ökolandbauflächen. Um eine Vermischung zu verhindern, darf nach einer Bepflanzung etwa mit Genmais im Folgejahr kein "normaler" Mais angepflanzt werden - nur zwischen Kartoffeln, Rüben oder anderen Pflanzen würde man nämlich sehen, wenn noch vorhandene Genmais-Samen aufgehen. Die belgische Abgeordnete der Liberalen, Frédérique Ries, ist die Verhandlungsführerin des Parlaments. Sie wertete diese Einschränkung ebenfalls als Erfolg. Doch selbst Gentechnik-Befürwortern ist klar, dass eine Vermengung in einem gemeinsamen Markt mit länderübergreifenden Transportwegen und Kundschaften nicht vollständig verhindert werden kann. Auch in Deutschland könnte es also dazu kommen, dass in Lebensmitteln Spuren gentechnisch veränderter Pflanzen auftauchen - zumal bei heute globalen Warenströmen kaum die gesamte Produktionskette von der Herstellung des Futtermittels bis zum fertigen Lebensmittel überwacht werden kann. Am Ende war in Straßburg aber ein EU-weites Verbot gentechnischer Pflanzen nicht durchsetzbar.

Der Grüne Martin Häusling bezeichnete das neue Gesetz daher als "Trojanisches Pferd", weil es seiner Ansicht nach zu mehr Zulassungen von Gentechnik führen wird. "Die Mitgliedstaaten werden zustimmen im Glauben, dass sie es ja daheim verbieten können, und der Druck auf die EU-Kommission wird nachlassen." Er forderte daher für die von der Kommission bereits angekündigte Reform des Zulassungsverfahrens eine Verschärfung "auf Basis unabhängiger Gutachten".

Das Bundesumweltministerium unter der Führung von Ministerin Barbara Hendricks (SPD) plant nun, Deutschland gentechnikfrei zu halten. Wichtig sei eine politische Vereinbarung, dass die sogenannte Ausschlussklausel generell in Deutschland gelte, betonte Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth gestern in Berlin. In Brüssel liegen unterdessen schon mehrere Anträge der Industrie zum kommerziellen Anbau weiterer Genpflanzen vor. Denkbar wäre auch, dass nun Hauptanbauländer gentechnisch veränderter Pflanzen wie die USA oder Kanada ein Verfahren bei der Welthandelsorganisation WTO gegen die EU einreichen. Ein solches Verfahren hatte es bereits 2003 gegeben, 2006 gab das WTO-Schiedsgericht in dem Fall den Klägern Recht.

(jd)
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