Analyse Freunde - trotz allem

Standpunkt Um das politische Verhältnis steht es schon länger nicht mehr zum Besten. Doch seit Präsident Erdogan Deutschland gezielt als Feindbild nutzt, entfremden sich auch die Gesellschaften mehr. Das dürfen wir nicht zulassen.

Analyse: Freunde - trotz allem
Foto: AFP, Köhler

Es ist 13 Jahre her, da reiste Angela Merkel, damals CDU-Vorsitzende, begleitet von Unionsfraktionsvize Wolfgang Schäuble in die Türkei. Die Christdemokraten wurden herzlich empfangen, schüttelten viele Hände und vereinbarten mit der islamisch-konservativen AKP-Partei des damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan eine enge Zusammenarbeit. Heute ist Merkel Bundeskanzlerin und muss sich vom zum Staatspräsidenten aufgestiegenen Erdogan wegen angeblicher Nazi-Methoden beschimpfen lassen.

Der Klimasturz im deutsch-türkischen Verhältnis ist spektakulär, und man kann sagen, dass er entgegen aller Vernunft erfolgt ist. Betrachtet man die Beziehungen zwischen beiden Ländern auf einer rein faktischen Ebene, steht eigentlich alles zum Besten: Die Türkei ist ein bedeutender Nato-Partner, Deutschland ihr mit Abstand wichtigster Handelspartner in der EU. Bei uns lebt die weltweit größte türkischstämmige Diaspora, und wenigstens bis vor Kurzem war die Türkei auch eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen - die beinahe so viel Döner Kebab verputzen wie die Türken. Man könnte also annehmen, dass es trotz der unleugbar großen kulturellen Unterschiede enge Bindungen gibt zwischen Deutschen und Türken, gegenseitige Wertschätzung und Verständnis.

Ja, wäre da nicht die Politik.

Die deutsch-türkische Entfremdung hat viel mit der Entwicklung in der Türkei zu tun. Nach Jahren, in denen Erdogan und seine AKP die Türkei wirtschaftlich und in gewissem Maße auch politisch modernisiert hatten, zeigte sich sein Regime 2013 erstmals von seiner hässlichen Seite, als die friedlichen Gezi-Proteste brutal niedergeknüppelt wurden. Es hagelte Kritik aus dem Ausland, gerade auch aus Deutschland. Erdogan wiederum fühlte sich in seiner Auffassung bestätigt, die Türkei sei von Feinden und Neidern umzingelt, die seinem Land den Aufstieg nicht gönnten. Das wurde zum Leitmotiv beinahe jeder Erdogan-Rede: Hinter allen Problemen in der Türkei wittern er und seine Getreuen eine ausländische, besonders gern eine deutsche Verschwörung. Mit solchen Schauermärchen ließen sich nationalistisch gesinnte Wähler immer schon mobilisieren, aber inzwischen glauben immer mehr Türken an die Mär von der umzingelten Türkei.

Ganz unschuldig sind deutsche Politiker freilich nicht daran. Selbst von Erdogan-Kritikern wurde es als Affront empfunden, wie lau die Reaktionen des Westens auf den Putschversuch im vergangenen Sommer ausfielen und dass in den Wochen nach dem vereitelten Coup kein europäischer Politiker das Land besuchte, um Solidarität zu zeigen. Dass Russlands Präsident Wladimir Putin sofort in Ankara anrief, die deutsche Kanzlerin aber erst einmal abwartete, lässt viele Türken vermuten, in Deutschland hersche in Wirklichkeit klammheimliche Enttäuschung darüber, dass der Militärputsch in ihrer Heimat gescheitert ist. Den Widerstand vieler Bürger, die sich den Panzern in den Weg stellten, und deren Kampf für den Erhalt der Demokratie sehen sie nicht ausreichend gewürdigt.

Richtig ist wohl, dass eine große Mehrheit der Deutschen die Demokratie in der Türkei schon abgeschrieben hat. Insbesondere in Deutschland ist man schockiert, mit welcher Härte Erdogan den Putschversuch nutzt, um nicht nur gegen vermeintliche Drahtzieher des Umsturzversuchs vorzugehen, sondern auch seine Kritiker auszuschalten. Aber angesichts von Terrorgefahr und riesigen wirtschaftlichen Problemen kann es eigentlich nicht verwundern, dass viele Türken dies als das geringere Übel empfinden. Viele von ihnen sind empfänglich geworden für Erdogans Botschaft, die von den beinahe vollständig gleichgeschalteten türkischen Medien jeden Tag verbreitet wird: Ich oder das Chaos!

Trotzdem muss Erdogan den Umfragen zufolge fürchten, dass er im April die Volksabstimmung über das von ihm geforderte Präsidialsystem verliert. Die Verfassungsänderung soll die außerordentlichen Machtbefugnisse legalisieren, die sich Erdogan nach dem gescheiterten Putschversuch gesichert hat. Gewinnt Erdogan das Referendum, bedeutet das jedoch eine faktische Entmachtung des Parlaments und einen möglichen Marsch in den Einparteienstaat - also eine Diktatur. Deswegen stehen nicht einmal die Anhänger seiner AKP geschlossen hinter dem Plan. Das wiederum erklärt die unfassbare Hemmungslosigkeit, mit der Erdogan über seine Gegner herfällt.

Knapp anderthalb Millionen in Deutschland lebende Türken dürfen im April beim Verfassungsreferendum mit abstimmen. Es ist also völlig klar, dass der politische Streit aus der Türkei mit seiner abstoßenden Vernichtungsrhetorik auch zu uns dringt. Das lässt sich kaum verhindern. Trotzdem darf nicht geschehen, was Erdogan in seinem verbohrten Kampf um die Macht offenbar billigend in Kauf nimmt: dass alle Brücken abbrechen, dass die Gräben zwischen Deutschen und Türken unüberwindbar tief werden.

Indem der türkische Präsident Deutschland gezielt als Feindbild nutzt, treibt er einen Keil zwischen die Gesellschaften. Das ist nicht neu. Schon früher hat Erdogan, unter anderem auch bei umstrittenen Auftritten vor Zehntausenden Anhängern in deutschen Stadien und Hallen, offen einer Abgrenzung das Wort geredet: Auch Türken in Deutschland sollten Türken bleiben und nicht etwa Deutsche werden. Aus dieser Haltung leitete Erdogan auch eine Art Alleinvertretungsanspruch ab sowie das Recht, im Namen der Deutschtürken zu sprechen.

Es steht zu befürchten, dass das politische Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei noch auf unabsehbare Zeit vergiftet bleibt. Umso mehr sollten wir uns darum bemühen, alle anderen Kontakte zwischen Deutschen und Türken zu pflegen. Diese Freundschaft darf nicht wegen des politischen Egotrips eines Mannes unter die Räder kommen. Die Türkei ist nicht nur Erdogan, das sollten wir nie vergessen.

(RP)
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