Düsseldorf Gabriel überraschte die SPD-Basis mit seiner Entscheidung

Düsseldorf · Eigentlich wäre Dietmar Stark am Wochenende wohl nach Berlin gefahren, um bei der Vorstellen des SPD-Kanzlerkandidaten im Willy-Brandt-Haus dabei zu sein. "Ich hatte eine persönliche Einladung", sagt der SPD-Vorsitzende von Radevormwald: "Dieses Thema hat sich ja jetzt erledigt."

Wie Stark wurden vorgestern viele Sozialdemokraten von der Nachricht überrascht, dass nicht Sigmar Gabriel (57), sondern Martin Schulz (61) bei der Bundestagswahl im September für die SPD als Kanzlerkandidat antreten soll. Von Berlin bis an die Basis in Nordrhein-Westfalen herrschte zum Teil Verwunderung. "Damit hatte ich so nicht gerechnet", sagt Matthias Vollstedt, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Essen-Mitte. Ähnlich äußerte sich Manfred Osenger, SPD-Bürgermeister aus Duisburg: "Ich hatte bis dahin gedacht, dass Herr Schulz gar kein Interesse daran hat, Bundeskanzlerkandidat und Parteivorsitzender zu werden."

Viele Sozialdemokraten in der Region, die unsere Redaktion befragt hat, begrüßen Gabriels Entscheidung. Sie sehen in Schulz den besseren Kanzlerkandidaten. "Ich bin froh, dass Gabriel die Größe hatte, einem anderen den Vortritt zu lassen, der in Bund und großer Koalition noch unverbraucht ist", sagt Kevelaers Bürgermeister Dominik Pichler. Auch Marco Kuhn, Vorsitzender des Ortsvereins Schwalmtal, hält Schulz für eine gute Lösung. "Unter unseren Mitgliedern herrscht große Freude, dass wir mit ihm ein neues, interessantes Gesicht auf Bundesebene haben." Der SPD-Vorsitzende von Wassenberg, Hermann Thissen, lobt Schulz für seinen Pragmatismus. "Er scheut es nicht, auch unangenehme und schwierige Entscheidungen zu treffen", meint Thissen. Konsequent und richtig sei Gabriels Entscheidung, betont Jürgen Franken, Vorsitzender der Klever SPD-Kreistagsfraktion. "Nicht der Ego-Gabriel, sondern der Vernunftmensch hat sich durchgesetzt. Das wird für den Wahlkampf sehr vorteilhaft sein", erklärt Franken. Ähnlich deutliche Worte findet auch Benno Jakubassa, Vorsitzender der Neusser SPD: "Wenn man es nüchtern betrachtet, sprach alles dafür, dass Gabriel die schlechtere Wahl ist. Er hat nur ein wenig Zeit gebraucht, um das zu erkennen. Seine miesen Umfrage-Ergebnisse und die Tatsache, dass er in seiner Partei keinen erstklassigen Rückhalt genoss, spielten dabei eine Rolle."

Auch in Xanten ist man zufrieden mit Schulz als Kanzlerkandidat. Er sei authentisch und honorig, ein Sozialdemokrat mit Rückgrat, sagt Olaf Finke, dortiger Fraktionsvorsitzender. Schulz sei ein mitreißender Mensch, der auch motivieren könne, betont Jörg Dürr, Sprecher der SPD-Fraktion in Haan. "Das braucht die SPD im Moment." Der Großteil der Basis zollt Gabriel jedoch Respekt für seine Entscheidung. "Ich finde, es ist ein mutiger Schritt von ihm, zugunsten der Partei auf die Kanzlerkandidatur und somit auf ein persönliches Weiterkommen zu verzichten", sagt Nicole Niederdellmann-Siemens, Fraktionsvorsitzende der SPD in Meerbusch. Christian Wiglow, SPD-Fraktionsvorsitzender in Ratingen, ist Gabriel dankbar dafür, dass er den Platz als Kanzlerkandidat freigemacht hat. Philipp Tacer, Düsseldorfer Ratsherr und Bundestagskandidat, meint, dass Gabriel "menschlich und politisch Größe" bewiesen habe.

Es gibt nur wenige, die Gabriels Entschluss öffentlich bedauern - wie etwa Renate Dyck, Vorsitzende der Nettetaler SPD-Fraktion . "Er ist ein guter Parteivorsitzender. Sein Meisterstück ist gewesen, dass er Frank-Walter Steinmeier für das Amt des Bundespräsidenten durchgesetzt hat."

Kritisiert wird von einigen SPD-Mitgliedern, wie die Entscheidung an die Öffentlichkeit gelangt ist. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass hinter dieser Art der Veröffentlichung ein Plan stand - und wenn, dann war der Plan schlecht", betont Hejo Eicker, Fraktionschef im Gelderner Stadtrat. Felix Heinrichs, Fraktionsvorsitzender in Mönchengladbacher Sozialdemokraten, bescheinigt Gabriel hingegen Schlitzohrigkeit: "Er ist Herr im Ring geblieben und hat den Zeitpunkt selbst bestimmt, wann und wie er die Entscheidung verkündet."

(RP)
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