Berlin/Düsseldorf Gabriel und die Grenzen des Möglichen

Berlin/Düsseldorf · In der Flüchtlingsdebatte wird der Ton rauer. Der Vizekanzler warnt, der Innenminister beschwert sich über unkooperative Neuankömmlinge.

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sieht die Bundesrepublik in der Flüchtlingskrise bereits am Rande ihrer Kapazitäten. "Wir nähern uns in Deutschland mit rasanter Geschwindigkeit den Grenzen unserer Möglichkeiten", sagte Gabriel "Spiegel Online". Die Zahl der Migranten hat im September einen neuen Rekordwert von voraussichtlich 280.000 erreicht. Viele Flüchtlinge entzögen sich der Registrierung, warnte Innenminister Thomas de Maizière (CDU), oder verließen Erstaufnahmeeinrichtungen eigenmächtig. Er forderte die Migranten auf, sich an Regeln zu halten. Es gebe auch so etwas wie eine "Ankommenskultur".

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) forderte ein einheitliches Asylrecht der EU-Staaten, damit es für Migranten kein Unterschied mehr sei, in welchem EU-Land sie Asyl beantragen. Die Harmonisierung müsse innerhalb von Monaten gelingen, sagte Schäuble der "Welt". "Wir brauchen ein europäisches Asylrecht und eine europäische Asylpolitik - und zwar schnell!", verlangte er. Diese Politik müsse die Frage beantworten, wie man den Zugang zu Europa auch an seinen Außengrenzen so gestalten könne, "dass wir Flüchtlinge zwar weiterhin großzügig aufnehmen können. Aber wir dürfen uns dabei nicht in einen Zustand bringen, in dem Europa sich selbst zerstört", warnte er. "Deshalb müssen wir den Zugang nach Europa kontrollieren."

Für die Schaffung eines europäischen Asylrechts brauche man keine Vertragsänderung. "Dafür gibt es im Lissabon-Vertrag bereits die Grundlage. Nur man muss es nun auch endlich machen." EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker habe dies begriffen, meinte Schäuble: "Frankreich und Italien lassen sich dafür sicherlich genauso gewinnen wie hoffentlich Griechenland." Natürlich müsse man auch mit den Osteuropäern sprechen.

EU-Kommissar Günther Oettinger gab Schäuble Rückendeckung. "Ich unterstütze die Forderung von Herrn Schäuble nach einem einheitlichen Asylrecht aller EU-Staaten voll und ganz. Das muss jetzt ohne Verzögerung angegangen werden", sagte er. "Das gemeinsame EU-Asylrecht steht ganz oben auf der Agenda der EU-Kommission. Ich hoffe, dass wir schon vor Jahresende zu einer Grundsatzentscheidung der EU-Staaten über die weitere Vergemeinschaftung des Asylrechts kommen."

Überall in der EU müsse gelten, "dass Menschen, die in der Heimat verfolgt werden, ein individuelles Asylrecht haben. Dieses materielle Asylrecht können und wollen wir nicht absenken", sagte Oettinger. "Wohl aber können wir in Deutschland die Asylrechtsverfahren beschleunigen und die Asylbewerberleistungen, abhängig von den Lebenshaltungskosten, angleichen." Ein Brot in Stuttgart koste vier Euro, eins in Litauen aber nur zwei Euro. "Wir können also in Deutschland höhere Asylbewerberleistungen haben, sie dürfen nur keinen zusätzlichen Anreiz bieten, nach Deutschland zu kommen oder umzuziehen", sagte der Kommissar. Deutschland stehe bei den Leistungen für Asylbewerber neben Dänemark in der EU "am oberen Ende".

Oettinger befürwortete zudem Transitzonen an der deutschen Grenze, wie sie von Bayern geplant werden. Wie auf Flughäfen soll hier bereits vor der Einreise entschieden werden, ob ein Asylbewerber Deutschland umgehend wieder verlassen muss. "Es macht keinen Sinn, Flüchtlinge in die Kommunen zu verteilen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Bleibeperspektive haben", sagte er. Das helfe auch den Asylbewerbern nicht, denen falsche Hoffnungen gemacht werden. "Deshalb halte ich neben Hot-Spots in Griechenland und Italien auch die Antragsprüfung direkt an den deutschen Grenzen für sinnvoll", sagte Oettinger.

NRW-Bauminister Michael Groschek (SPD) sieht massive Herausforderungen für den sozialen Wohnungsbau. "Jeder Zweite, der heute als Flüchtling kommt, bleibt dauerhaft als Einwanderer hier", sagte Groschek. Er kündigte verbesserte Förderbedingungen in NRW an. So sollen in den nächsten Jahren rund 50.000 Sozialwohnungen entstehen. Groschek plant hohe Tilgungsnachlässe für Investoren. Je nach Region werden Kommunen oder privaten Bauherren zwischen zehn und 25 Prozent ihrer Kredit-Rückzahlungen durch das Land abgenommen, wenn sie durch Um- oder Neubau Sozialwohnungen schaffen. Wenn bestehende Wohnungen hergerichtet werden, will er Investitionen sogar bis zu 35 Prozent bezuschussen. Beim Flüchtlingsgipfel hatte der Bund zugesagt, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau um 500 Millionen Euro aufzustocken. Gut 90 Millionen davon fließen nach NRW.

(mar)
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