Krise im Nahen Osten Lässt sich die Hamas überhaupt besiegen?

Tel Aviv · Die militärische Eskalation in Gaza könnte eine dritte Intifada auslösen und Israel politisch wie wirtschaftlich schaden.

Chronologie zum Konflikt im Nahen Osten
Infos

Chronologie zum Konflikt im Nahen Osten

Infos
Foto: AFP/JACK GUEZ

Der Konflikt zwischen Israel und der den Gaza-Streifen kontrollierenden Hamas scheint unaufhaltsam zu eskalieren. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Kann Israel einen Einmarsch nach Gaza überhaupt riskieren?

Rein militärisch wäre eine Bodenoffensive in Gaza für die stärkste Militärmacht im Nahen Osten kein Problem. Vorbild für den Einmarsch wäre Israels Militäroperation im Jahr 2002, als die Armee Städte im Westjordanland eroberte, um dort die "Infrastruktur des Terrors" zu zerstören. Aber auch jetzt würden die Soldaten Wochen benötigen, um Informationen zu sammeln, Hamas-Aktivisten zu verhaften, Häuser zu durchsuchen und Waffendepots zu zerstören. In dieser Zeit wären die israelischen Soldaten verwundbar. In Gefechten könnten außerdem viele Unschuldige sterben, was Israel Probleme einer ganz anderen Natur bescheren dürfte.

Welche Folgen hätte eine solche Militäroperation?

Die Konsequenzen wären vor allem politisch, wirtschaftlich und diplomatisch - und sie wären negativ für Israel. Die Erfahrung zeigt, dass die Unterstützung für Israels Recht auf Selbstverteidigung gegen den Raketenbeschuss der Hamas sich schnell in eine Verurteilung israelischer Unverhältnismäßigkeit verwandelt. Die Regierung Benjamin Netanjahus ist international ohnehin bereits wegen des anhaltenden Siedlungsbaus und des Scheiterns der Friedensgespräche isoliert. Diese Isolation würde nach einer Bodenoffensive zunehmen. Boykottaufrufe würden intensiviert, Israels Wirtschaft würde zweifellos Schaden nehmen. Eine Offensive wird den Staat zudem Milliarden kosten.

Lässt sich die Hamas überhaupt besiegen?

Außer den Hardlinern glaubt in Israel wohl kaum jemand, dass man die Hamas besiegen kann. Die Armee hat als Ziel auch lediglich angegeben, die militärischen Fähigkeiten der Hamas "entscheidend zu dezimieren". Denn die Hamas ist weitaus mehr als eine Terrororganisation: Sie ist ein soziales Netz, betreibt Kindergärten, Ferienlager, Kliniken, Schulen, Clubs und Armenküchen. Die meisten Palästinenser betrachten sie als festen Teil ihrer Gesellschaft. Wenn überhaupt, ließe sie sich höchstens politisch besiegen. Doch ohne einen glaubhaften Friedensprozess scheint das unmöglich.

Droht eine Ausweitung des Konflikts über Gaza hinaus?

Eine der größten Ängste in Israel ist, dass der Konflikt in Gaza zum Flächenbrand werden könnte. Die arabische Bevölkerung im Land selbst ist ohnehin bereits in Aufruhr. Im Westjordanland drohen ebenfalls Massenproteste auszubrechen, die sogar den pragmatischen Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas zu Fall bringen könnten. Selbst der König Jordaniens, dessen Bevölkerung zu 70 Prozent aus Palästinensern besteht, muss sich Sorgen machen. Außerdem könnten die libanesische Hisbollah im Norden oder auch Islamisten in Syrien oder im Sinai die Ereignisse zum Anlass nehmen, Israel direkt anzugreifen. Eine Eskalation scheint jederzeit möglich.

Gibt es noch einen Weg, um die Eskalation zu stoppen?

Vorerst ist noch kein Ausweg in Sicht. Ägypten hat sich zwar wie in der Vergangenheit als Vermittler angeboten. Doch die Hebel Kairos sind kürzer geworden. Beim letzten Waffengang konnten die ägyptischen Muslimbrüder, die enge Beziehungen zur Hamas pflegten und deshalb bei ihr Gehör fanden, sich einschalten. Nun hingegen sehen Hamas und Kairo sich als Feinde. Die Islamisten stellen an Ägypten Forderungen wie eine Öffnung des Grenzübergangs in Rafah, denen Präsident Abdel Fatah al Sisi aber nicht nachkommen will. So ist fraglich, wie groß sein Einfluss auf die Ereignisse ist. Derweil haben sich die israelische Regierung und die Hamas-Führung in eine politische Sackgasse manövriert: Beide Seiten demonstrieren Kampfeswillen und werden so schnell nicht einlenken. Bis dahin werden die Zivilisten weiter unter den Angriffen leiden.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort