Istanbul/Berlin Gefährliche Reisen in die Türkei

Istanbul/Berlin · Wieder wurde ein deutsches Ehepaar bei der Einreise in die Türkei festgesetzt. Das Auswärtige Amt schließt nicht mehr aus, eine Reisewarnung für die Türkei aussprechen zu müssen.

Im türkischen Istanbul ist am Sonntag ein deutsches Ehepaar bei der Einreise in Polizeigewahrsam genommen worden. Der "Albtraum" setze sich fort, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Es könne inzwischen jeden treffen, der in die Türkei einreisen wolle. Erst vor gut einer Woche war ein deutsches Paar mit türkischen Wurzeln ebenfalls bei der Einreise in Antalya festgenommen worden. Von dem am Wochenende festgenommenen Paar soll sich noch eine Person in Gewahrsam befinden, für die andere soll eine Ausreisesperre verhängt worden sein.

Das Auswärtige Amt will auch nach der jüngsten Festnahme keine offizielle Reisewarnung für die Türkei aussprechen, die dann zur Folge hätte, dass Buchungen storniert und Kosten erstattet werden könnten. Der Sprecher bezeichnete einen solchen Schritt zum jetzigen Zeitpunkt als politischen Missbrauch von Reisehinweisen. Die Türkei befände sich dann in der Gesellschaft von Bürgerkriegsländern wie Jemen, Libyen oder Syrien. Eine solche Warnung könne es aber geben, wenn es zur täglichen Routine in der Türkei werde, deutsche Staatsangehörige an der Grenze einzukassieren und monatelang in Gewahrsam zu halten. Der Sprecher mahnte auch, jeder, der die Absicht habe, in die Türkei zu reisen, tue gut daran, sich mit dem Gedanken zu beschäftigen, in einem türkischen Gefängnis landen zu können.

Die deutsche Öffentlichkeit ist über die Lage in der Türkei beunruhigt und erwartet eine harte Haltung gegenüber Präsident Erdogan. In einer Emnid-Umfrage vor zwei Wochen erklärten 81 Prozent, dass sich die Bundesregierung zu viel von Erdogan gefallen lasse. Der deutsch-türkische Konflikt eskaliert immer weiter: Erst am Wochenende hatte Ankara eine Reisewarnung für türkische Bürger ausgesprochen, die beabsichtigen, die Bundesrepublik zu besuchen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel warb eindringlich für den Zusammenhalt mit türkischstämmigen Bürgern in Deutschland. Ihnen müsse gesagt werden: "Ihr seid hier zu Hause. Wir schätzen Euch", sagte die CDU-Vorsitzende gestern Abend in der in Lübeck aufgezeichneten ARD-"Wahlarena". Gleichzeitig müsse aber allen klar sein: "Wir wollen nicht, dass Ihr Eure Konflikte hier austragt." Die Türkei habe sich weit davon wegentwickelt, was sie unter einem Rechtsstaat verstehe, betonte Merkel. Deutschland müsse da "mehr Flagge zeigen".

Unionsfraktionsvize Franz-Josef Jung (CDU) warnte indes davor, die Brücken zur Türkei einzureißen. "Die Union hat sich nie für eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU ausgesprochen. Wir sollten in diesen schwierigen Zeiten aber auch nicht die Gesprächsfäden abreißen lassen", sagte Jung. "Denn damit würden wir nur Erdogan stärken."

Die Haltung der Deutschen gegenüber der Türkei spiegelt sich in den Urlaubsbuchungen: Zwar war die Türkei unter den Last-Minute-Buchungen wegen des guten Preis-Leistungs-Verhältnisses in diesem Sommer Spitzenreiter. Insgesamt hat der Türkei-Tourismus jedoch einen starken Einbruch erlitten. Auch viele Unternehmen haben ihre Sicherheitsvorkehrungen für Geschäftsreisende verschärft. Gleichzeitig nimmt die Zahl türkischer Staatsangehöriger zu, die in Deutschland Asyl beantragen. Zwischen Juni und August gab es mehr als eine Verdoppelung ihrer Zahlen von 433 auf 962 monatlich.

Seit Jahresbeginn hat Deutschland den Export von Rüstungsgütern an die Türkei mit einem Gesamtwert von mehr als 25 Millionen Euro genehmigt. Aufgrund der angespannten Lage stecken die meisten Lieferungen nach Angaben von Außenminister Sigmar Gabriel jedoch in der Warteschleife. "Die großen Anträge, die die Türkei derzeit an uns stellt - und das sind wirklich nicht wenige - haben wir alle ,on hold' gestellt", sagte der SPD-Politiker gestern Abend bei einer "Handelsblatt"-Veranstaltung in Berlin.

Unions-Außenexperte Jürgen Hardt warb für die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen: "Jenseits von der aktuellen Regierung Erdogan bleibt die Türkei ein wichtiger Sicherheitspartner unter dem Dach der Nato."

(may-/qua)
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