Berlin Gefechte in Ost-Ukraine überschatten EU-Gipfel

Berlin · Schon vor der Konferenz in Riga gibt es Streit um die Abschlusserklärung, weil Moskau darin kritisiert werden soll. Kiew befürchtet einen Angriff durch Russland. Angela Merkel lehnt einen EU-Beitritt der Ukraine ab.

Während in der Ukraine die Krise erneut eskaliert, hielt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Regierungserklärung zur Lage in Osteuropa gestern im Bundestag Kurs: Ohne konkret auf die Verschärfung einzugehen, betonte sie in Richtung Moskau, niemand habe das Recht, den Ländern in Osteuropa den selbst gewählten Weg einer Annäherung an die EU zu verstellen. Die Hoffnung Kiews auf einen baldigen Beitritt zur Europäischen Union dämpfte sie aber: Die Nachbarschaftspolitik der EU sei kein Instrument zu ihrer Erweiterung.

Die Regierungserklärung hielt Merkel vor zwei wichtigen Treffen: dem "Gipfel der östlichen Partnerschaft", der gestern Abend in der lettischen Hauptstadt Riga begann, und dem Industriestaaten-Gipfel G 7 am 7. und 8. Juni auf Schloss Elmau. Die östliche Partnerschaft mit der EU besteht seit 2009; beteiligt sind die Ukraine, Moldau, Georgien, Armenien, Aserbaidschan und Weißrussland. Assoziierungsabkommen mit der EU haben Georgien, Moldau und die Ukraine. Moskau nimmt die Hinwendung dieser Staaten zum Westen als Bedrohung wahr. Merkel betonte, die östliche Partnerschaft richte sich gegen niemanden, "insbesondere nicht gegen Russland".

Unmittelbar vor dem Treffen in Riga gab es Streit über die geplante Abschlusserklärung: Armenien und Weißrussland wollten die vorbereitete Deklaration zunächst nicht unterzeichnen, weil ein Passus die russische Annexion der Krim verurteilt.

Bezogen darauf wurde Merkel erneut deutlich: Die Annexion bezeichnete sie als völkerrechtswidrig. Das Wort "verbrecherisch", das sie bei ihrem Besuch vor knapp zwei Wochen in Moskau verwendet hatte, fiel nicht. Merkel machte aber deutlich, dass eine Rückkehr Russlands in die Gruppe der G 7/G 8 von seinem Verhalten in der Ukraine-Krise abhänge. "So lange sich Russland nicht zu den grundlegenden Werten des Völkerrechts bekennt und danach handelt", sei eine Rückkehr zum Format G 8 nicht vorstellbar. Der Zusammenschluss der bedeutenden Industriestaaten sei eine Wertegemeinschaft.

Widerspruch bekam die Kanzlerin von Linken-Fraktionschef Gregor Gysi: "Warum hatten Sie nicht den Mumm, Putin einzuladen?", fragte Gysi in der Debatte. Als UN-Veto- und Atommacht könne Russland nicht isoliert werden. Die beiden Gipfel sind aus russischer Sicht eine Provokation und eine Bedrohung für Moskaus Einflussgebiet.

Bei neu aufgeflammten Kämpfen zwischen ukrainischen Soldaten und prorussischen Separatisten sind unterdessen nach Angaben Kiews vier Soldaten durch Granatwerferbeschuss getötet worden. Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig der Angriffsvorbereitungen. Alle Konfliktparteien haben offenbar die Waffenruhe genutzt, um massiv aufzurüsten: Eine Militärparade der Rebellen in Donezk präsentierte keine zusammengewürfelten Milizeinheiten mehr, sondern einheitlich und modern ausgestattete Soldaten. Bewaffnet waren sie mit Kampf- und Schützenpanzern sowie Raketenwerfern, die nicht nach ukrainischen Beutewaffen, sondern nach neuen Lieferungen aus Russland aussahen.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sieht sein Land in einem "richtigen Krieg" mit Russland. Bei einer Pressekonferenz in Kiew sprach er mit Bezug auf westliche Geheimdienstinformationen von bis zu 14 000 russischen Soldaten, die in der Ost-Ukraine bereitstünden.

Ein Blick auf die Karte genügt, um ein mögliches Ziel Moskaus zu erkennen: Der annektierten Halbinsel Krim fehlt der Landzugang zu Russland. Gestern kritisierte der Kreml scharf, dass das ukrainische Parlament mehrere Militärabkommen aufgekündigt hat. Unter anderem ist Russland nun verboten, seine Truppen in der abtrünnigen Region Transnistrien über ukrainisches Territorium mit Nachschub zu versorgen. Transnistrien gehört völkerrechtlich zur Republik Moldau. Im Extremfall könnte nun ein militärisch erzwungener Korridor von Russland zur Krim über Odessa nach Transnistrien verlängert werden.

Beobachter befürchten, dass Moskau - ähnlich wie nach den Olympischen Winterspielen im Februar 2014 in Sotschi und der folgenden Besetzung der Krim - nach einem zeitlichen Abstand zum 70. Jahrestag des Sieges über Deutschland den Separatisten den Angriffsbefehl Richtung Mariupol geben könnte. Am Wochenende hatte Kiew die Festnahme von zwei russischen Soldaten bei Lugansk gemeldet und dies durch deren Truppenausweise belegt. Moskau räumt ein, dass "Freiwillige" die Rebellen unterstützten.

(qua)
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