Bedingungslose Hilfe In der Trauer rückt Europa zusammen

Berlin · In den Stunden des Unglücks zeigen die Europäer, dass sie Freunde sind. Man hilft sich bedingungslos. Die Kanzlerin dankt dem französischen Präsidenten "im Namen von Millionen Deutschen". Eine Würdigung des Selbstverständlichen.

Europa war in den vergangenen Jahrzehnten immer dann stark, wenn Deutschland und Frankreich zusammengehalten haben. In diesen Tagen brauchen die beiden großen Herzkammern Europas viel Kraft - nicht um Finanznöte oder internationale Krisenherde zu bekämpfen. Sie brauchen die Kraft für die Trauer.

In diesen schweren Stunden zeigt sich, dass die Europäer mehr sind als eine von vielen Einzelinteressen nur mühsam zusammengehaltene Wirtschafts- und Finanzgemeinschaft: Sie sind Freunde. In der Not helfen und stützen sie einander.

Am Tag nach dem Unglück treffen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident François Hollande und Spaniens Premier Mariano Rajoy am Unglücksort. Die Verständigung darüber, dass sich nur wenige Stunden nach dem Unglück verschiedene Minister der drei Länder an der Absturzstelle einfinden sollten und sich anderntags die Regierungschefs ein Bild von der Lage vor Ort machen, gelingt blitzschnell und geräuschlos.

Etwa drei Stunden nach dem Unglück sitzen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verkehrsminister Alexander Dobrindt bereits in einer Maschine der Flugbereitschaft von Berlin nach Marseille. Dort treffen sie die französische Energieministerin und die spanische Verkehrsministerin. Alle vier steigen zusammen in einen Hubschrauber. Die Organisation in Frankreich läuft reibungslos. Es ist üblich, dass stets die Nation, auf deren Territorium das Unglück geschehen ist, bei der Aufklärung, der Betreuung der Opfer und allen anderen Organisationsfragen die Führung übernimmt. So arbeiten derzeit auch noch drei Vertreter der deutschen Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung unter französischer Leitung. Im Angesicht des Unglücks zeigt sich ein Europa, in dem nicht reguliert, sondern gehandelt wird.

Merkel dankt nach einem Überflug über den Absturzort den Helfern und den vielen Freiwilligen vor Ort, die mutig, mit "beispielloser Hilfsbereitschaft, unglaublichem Engagement und mit großem Herzen Hilfe leisten". Es sei ein gutes Gefühl, in so einer Stunde des Schmerzes so eng beieinanderzu-stehen und so viel Solidarität zu erfahren. An den französischen Staatspräsidenten gerichtet sagt Merkel: "Lieber François, ein ganz großes Dankeschön" - im Namen von Millionen Deutschen, die zu schätzen wüssten, was hier für die Opfer und ihre Familien geleistet werde.

Auch nach dem Attentat gegen die Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" waren Merkel und Hollande zusammengerückt. Ein Foto, auf dem sich die Kanzlerin dem Präsidenten zuwendete, bewies dies eindrücklich.

Deutschland ist von der Katastrophe am stärksten betroffen. Es war eine deutsche Maschine, die über den Alpen zerschellte. Ein großer Teil der Opfer kommt aus Deutschland, aus NRW. Im ersten Telefonat nach dem Unglück sicherte Hollande der Bundeskanzlerin seine Hilfe zu. "Es ist eine Tragödie auf unserem Boden", hatte der französische Präsident zuvor gesagt. Auch der spanische Regierungschef Mariano Rajoy reagierte prompt und versicherte seine Solidarität über den Internet-Kurznachrichtendienst Twitter: "Wir arbeiten eng mit den französischen und deutschen Behörden zusammen." Der spanische König Felipe wiederum brach eine Reise nach Frankreich ab. Jede Form von Glanz und Leichtigkeit wäre an diesem Tag fehl am Platz gewesen.

Das Mitgefühl mit den betroffenen Ländern ist groß. EU-Ratspräsident Donald Tusk äußert sein Mitgefühl. Beileidsbekundungen kamen auch vom russischen Präsidenten Wladimir Putin, gegen den die EU mehrfach Wirtschaftssanktionen wegen der Annexion der Krim verhängt hat. So groß die Spannungen zwischen der EU und Russland derzeit auch sind, an diesem Tag bleiben sie unerwähnt.

Die spanische Presse greift die besondere Stimmung in Europa auf, die sich inmitten der Trauer breit-macht. Die Zeitung "La Razón" schreibt: "Inmitten des Schmerzes und der Verzweiflung gilt es den außerordentlichen Geist der Zusammenarbeit hervorzuheben."

Auch wenn die Franzosen für die Untersuchung des Unglücks und das Bergen der Toten zuständig sind, stehen ringsum in Europa die Hilfskräfte bereit. Die Bundeswehr bot den französischen Behörden ihre Unterstützung an, falls Hilfe an der Absturzstelle der Germanwings-Maschine benötigt wird. "Wir stehen selbstverständlich mit unseren Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Verfügung, wenn wir angefragt werden", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gestern in Berlin. Denkbar wäre die Überführung der Leichen nach Deutschland. Dazu müssten die Toten zunächst jedoch identifiziert sein.

(qua)
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