Unsere Ohnmacht vor dem Tod

Wer in diesem Frühjahr an der Aktion des sogenannten SMS-Fastens teilnimmt, wurde gestern mit folgender Bibel-Botschaft auf seinem Handy überrascht: "Als Christus in diese Welt eintrat, sprach er zu seinem Vater: Siehe, ich komme, um deinen Willen zu erfüllen." Wirklich? Kann das, was sich hienieden abspielt, im Sinne des Allmächtigen sein? Unsere Antwort auf die biblischen Worte ist eine Zahlen- und Buchstabenkombination: 4U 9525.

Weil nämlich der Absturz dieses Fluges mit dem Tod von 150 Menschen und dem unbeschreiblichen Leiden der Hinterbliebenen Gottes Allmacht widerlegt. Die einzige Entschuldigung Gottes ist nach den Worten des französischen Dichters Stendhal, dass er nicht existiert. Das klingt nach einem einfachen Anklageverfahren, in dem wir all das, was für uns weder erfahrbar noch begreiflich ist, abladen können. Stattdessen beginnen wir in diesen Tagen eifrig mit Ursachen-Forschungen. Wir berechnen und überprüfen jetzt dies und jenes. Das ist das, was wir können. Bis eben auf jenes eine schreckliche Mal. Höchstwahrscheinlich wird irgendwann eine Ursache gefunden sein. Bestimmt werden wir irgendwann auch wieder in den Süden fliegen. Und irgendwann wird sogar 4U 9525 vergessen sein. Der Satz ist schlimm, aber er ist wahr. Denn er entlarvt, dass unser Schrei der Gottesanklage in Wahrheit ein Schrei unserer Ohnmacht vor dem Tod gewesen ist.

Jeder Tod ist ungerecht, unerträglich, unverständlich. Das Sterben bleibt eine Tragödie in kleinster Besetzung: Jeden trifft es immer ganz allein. Dennoch ist der Tod nie ein Beweis von Macht, sondern ein Zeugnis des Leidens. Und es kann unser Trost werden, den scheinbar allmächtigen Gott als einen leidenden verstehen zu lernen. Denn wenn es keinen Gott bei den sterbenden Menschen von 4U 9525 gab, wo sollte es ihn dann für uns anderswo geben?

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort