Analyse Gesundheit ist ein Milliarden-Geschäft

Berlin · Wer in der Gesundheitspolitik überleben möchte, braucht selbst ein robustes Naturell. Weil es um so viel Geld geht, üben Lobby-Gruppen mächtigen Druck aus. Zudem werden ideologische Kämpfe ausgefochten.

Ulla Schmidt (SPD) hat sich zum Ende ihrer Amtszeit gerne selbst mit dem Titel geschmückt, sie sei Europas dienstälteste Gesundheitsministerin. Der Hinweis auf ihre überdurchschnittlich lange Amtsdauer war auch eine Botschaft an ihre Gegner: Vorsicht, ich überlebe Euch alle. Nach knapp neun Jahren im Amt und vielen Kämpfen gegen Ärzte, Krankenkassen, Pharma-Industrie und andere Lobbyisten hatte sie selbst die Bodenhaftung verloren. Ihre Dienstwagenaffäre verhagelte der SPD 2009 den Wahlkampf.

Doch Schmidt, die heute als Vize-Präsidentin im Bundestag sitzt, ist aus dem Holz geschnitzt, aus dem Gesundheitsminister sein müssen: unbeirrbar, selbstbewusst, konfliktfreudig.

Die Gesundheitspolitik ist ein vermintes Feld. Es geht um jährlich 173 Milliarden Euro, die allein die gesetzlichen Krankenkassen für ihre Leistungen ausgeben und einen Gesundheitsmarkt, in dem jährlich mehr als 300 Milliarden Euro umgesetzt werden. Das weckt Begehrlichkeiten.

Auch einfache Bundestagsabgeordnete können ein Lied davon singen, wie sie von Lobbyisten vereinnahmt werden. In den Abgeordnetenbüros der Gesundheitsexperten stapeln sich die Anfragen von Verbandsvertretern und Firmenleuten aus der Branche, die zum Gespräch kommen wollen. Sie sitzen im Berliner Regierungsviertel hinter glänzenden Türschildern in großen Bürogebäuden. Selten vergeht ein Tag, an dem nicht irgendein Verband, eine Kasse oder eine Institution zu einem Informationsgespräch oder einem Netzwerk-Treffen einlädt. Wer es darauf anlegt, kann im Regierungsviertel an Wochentagen durch die Schnittchen-Termine der Gesundheitsbranche satt werden.

Mit der Gesundheitspolitik verhält es sich ähnlich wie mit der Schulpolitik in den Ländern: Man kann mit ihr Wahlen verlieren, gewinnen kann man sie mit diesem Themenfeld nicht. Die Gesundheitspolitik hat vor allem für jeden, der sich damit beschäftigt und sie verantwortet, zwei Einfallstore: Die Ideologie und die Moralkeule — mit beidem lassen sich bekanntlich Wähler in Wallung bringen. Die Moralkeule lässt sich stets schwingen, indem man seine Argumente damit unterfüttert, dass es einem nur um das Wohl der Versicherten und Patienten und die Gesundheit der Menschen gehe. Ideologisch ist das Feld umkämpft, weil sich auch kleine Entscheidungen nach der großen Frage sortieren lassen, ob es um Solidarität oder individuelles Risiko geht.

Zehn Jahre lang standen sich Union und SPD in der Finanzierungsfrage der Krankenkassen unversöhnlich gegenüber. Die Union hatte bei ihrem Leipziger Parteitag 2003 die Einführung einer Gesundheitsprämie beschlossen, die unter dem Kampfbegriff Kopfpauschale besser bekannt wurde. Die Sozialdemokraten setzten der Pauschale das Konzept einer Bürgerversicherung entgegen, das nur auf den ersten Blick eine leichte Lösung der Finanzierungsprobleme der Gesundheitsversorgung in einer alternden Gesellschaft darstellt.

Beide Systemumstellungen wären eine Revolution gewesen, entsprechend hart waren die Konzepte umkämpft. Der frühere Gesundheitsminister und heutige Ministerpräsident Bayerns, Horst Seehofer (CSU), trat sogar in Folge der Kopfpauschalen-Entscheidung der Schwesterpartei CDU als damaliger Unions-Fraktionsvize im Bundestag zurück. Seine persönliche Enttäuschung über die Wende in der Gesundheitspolitik der Union war so groß, dass er für Tage nicht ansprechbar war. Er schloss sich alleine ein und lebte für eine Weile von Dosensuppen.

Bei der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt von der SPD war das Bedauern über Seehofers Rückzug bedeutend größer als in der Union. Schmidt und Seehofer verstanden sich gut. Sie hatten während der rot-grünen Regierungszeiten die wichtigen Gesundheitskompromisse von Regierung und Opposition verhandelt. Nach einer sehr langen nächtlichen Sitzung gab Seehofer zweideutig zu Protokoll: "Ich kann für meine Person sagen, dass es eine der schöneren Nächte in meinem Leben war." Die beiden waren sich durchaus ähnlich: Wer in der Gesundheitspolitik überleben will, muss selbst mit einem robusten Naturell und guten Instinkten für politische Fallen ausgestattet sein.

Die erste Grüne auf dem Chefsessel im Bundesgesundheitsministerium hatte wenig Fortune. 2001 musste Andrea Fischer in Folge der BSE-Krise zurücktreten. Nicht nur die Krise, auch die widerstreitenden Interessengruppen hatte sie nicht in den Griff bekommen. Philipp Rösler (FDP), der nur eineinhalb Jahre als Gesundheitsminister im Amt war, konnte sich mit seinen Plänen für eine ausgeweitete Gesundheitspauschale nicht durchsetzen. Sein Pech: Horst Seehofer, nun als bayerischer Ministerpräsident im Amt, hatte noch eine Rechnung offen und ließ den jungen Gesundheitsminister mit seinen liberalen Ideen auflaufen. Röslers damaliger Staatssekretär Daniel Bahr beschimpfte die CSU daraufhin als "Wildsau". Die wiederum konterte, die FDP sei eine "Gurkentruppe". Die Öffentlichkeit fand, beide hätten irgendwie recht.

Als Bahr dann selbst das Amt des Gesundheitsministers übernahm, agierte er umsichtig. Er war auch schlau genug, nicht auf Marktliberalismus im Gesundheitswesen zu setzen. Dazu kannte er die Spielregeln schon zu gut.

Die große Linie in der Gesundheitspolitik zeigt, dass die fachfremden Minister gescheitert sind. Umso spannender wird es zu beobachten, wie der Jurist und frühere CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe agiert. Er hat den Vorteil, dass der ideologische Kampf um die Systemfrage Kopfpauschale oder Bürgerversicherung durch den Koalitionsvertrag befriedet ist. Dennoch hat er mit der Pflegereform und der Termingarantie beim Arzt schwierige Schlachten zu schlagen.

(qua)
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