Analyse Gewalt und Spiele

Düsseldorf · Die Prügeleien rivalisierender Ultras sind paradoxerweise längst zu einem gemeinsamen Kampf geworden - gegen den Deutschen Fußball-Bund. Getreu dem Motto: "Getrennt in den Farben, in der Sache vereint".

Analyse: Gewalt und Spiele
Foto: red

Vor drei Wochen reiste eine Delegation des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nach Dresden. Gesprächspartner sollten Vertreter der Fangruppierung "Ultras Dynamo" vom lokal ansässigen Zweitligisten sein, Gesprächsthema eine Choreografie der Dresdner Fanszene, in der die Anhänger dem DFB im Camouflage-Outfit den Krieg erklärt hatten. Was ein lockerer Dialog werden sollte, entwickelte sich zum Tribunal. Die DFB-Delegation wurde überrascht. Vor ihr standen rund 50 Ultras - von Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet. In einer Stellungnahme der beteiligten Ultras von Rot-Weiß Erfurt ist zu lesen: "Statt auf offene Ohren stieß man auf Engstirnigkeit, und es zeigte sich, dass die Herren im Elfenbeinturm DFB-Zentrale zu weit von der Basis entfernt sitzen und sich nicht für Fan- und Vereinsbelange interessieren."

Die Streitparteien haben dabei solch unterschiedliche Auffassungen über die Rahmenbedingungen des Fußballs, dass ein harmonisches Miteinander nicht möglich scheint. Immerhin ging gestern ein kleiner Hoffnungsschimmer auf einem langen Weg der Annäherung vom DFB aus, der weitere Gespräche mit Vertretern der aktiven Fanszenen ankündigte. Als erstes Zeichen des Entgegenkommens empfiehlt der Verband seinem Kontrollausschuss, keine Kollektivstrafen mehr zu beantragen. "Bis auf Weiteres" wolle der DFB "keine Sanktionen wie die Verhängung von Blocksperren, Teilausschlüssen oder Geisterspielen mehr", teilte DFB-Präsident Reinhard Grindel mit.

Beim Fußballgipfel unserer Zeitung hatte Jörg Schmadtke, Geschäftsführer beim 1. FC Köln, in der vergangenen Woche gesagt: "Die Vereine selbst können sich nur mit den Gruppen in ihrem eigenen Umfeld beschäftigen und versuchen einzuwirken. Die Kritik an DFB und DFL ist aber ein grundlegendes Problem, das man sehr ernst nehmen muss. Und durch die unterschiedlichen und nicht immer nachvollziehbaren Strafmaße, die der DFB verhängt, wird die Stimmung nicht besser."

Es bleibt fraglich, wie beide Parteien auf einen Nenner kommen wollen. Auf der einen Seite der stetig wachsende Verband, der auf allen Ebenen in Gigantismus verfällt, bei dem das Wort Bodenhaftung nur noch als Worthülse für Marketingzwecke Bedeutung findet. Auf der anderen Seite die Ultras, die selbst ernannten Beschützer des Volkssports und der ihrer Meinung nach einzig wahren Fankultur, die ihre Werte Jahr für Jahr mit immer größer werdenden Füßen getreten sehen. Und in der Mitte der einfache Fußball-Fan, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht.

Die Ultras gelten als Fußballromantiker, die der Utopie erlegen sind, die Zeit zurückdrehen zu können. Die Zeiten, in denen Spieler einen Verein im Herzen trugen, sich mit ihm identifizierten und ihm ein Leben lang treu blieben - wie sie selbst. Die Zeiten, in denen der DFB den Fußball noch ausschließlich als Sportart förderte und nicht als Lizenz zum Gelddrucken. Doch diese Zeiten werden nicht wiederkommen. Die Profivereine, längst mittelständische Unternehmen, haben eine eigene Organisation, die Deutsche Fußball Liga (DFL), gegründet, die jährlich neue Umsatzrekorde vermeldet. Und in Zeiten, in denen ein Fußballspieler für 222 Millionen Euro Ablösesumme den Verein wechselt, steht außer Frage, welch großes Geschäft der Fußball geworden ist.

Die Ultra-Bewegung, die ihre Ursprünge in den 50er und 60er Jahren in Italien hat und in den 90er Jahren nach Deutschland kam, hat sich neben der bedingungslosen Unterstützung des jeweiligen Vereins früh den Kampf gegen die Kommerzialisierung des Sports auf die Fahnen geschrieben. Sie wähnten sich dabei durch große Teile der Stadionbesucher legitimiert. Als Beispiel dient ihnen die Halbzeit-Show mit Helene Fischer beim DFB-Pokalfinale in diesem Jahr. Der Auftritt wurde bei Weitem nicht nur von der aktiven Fanszene per Pfeifkonzert abgekanzelt.

Was dabei oft vergessen wird: Der Otto-Normal-Besucher pfeift, weil er einfach nur Fußball sehen will. Er pfeift gegen Helene Fischer, er pfeift aber auch gegen die Ultras, wenn sich in den Kurven Szenen abspielen, die für ihn nicht zu einem Fußballbesuch gehören. Er wird so in einen Kampf hineingezogen, den er gar nicht führen will.

Als Auslöser für den großen Bruch zwischen DFB und Ultras gilt der Streit um die Erlaubnis für Pyrotechnik. Mit der Kampagne "Emotionen respektieren, Pyrotechnik legalisieren" waren Vertreter der aktiven Fanszenen mit dem DFB 2010 in einen Dialog getreten. Nach einem halben Jahr brach der DFB die Gespräche aber ab. Seitdem benutzen Ultras die Fankurven mehr denn je als rechtsfreien Raum, in dem sie bestimmen, was Gesetz ist.

Resultat sind exzessive Pyro-Shows und Vandalismus. Nicht in direktem Zusammenhang stehen damit gewalttätige Auseinandersetzungen, die in der Szene durchaus kontrovers diskutiert, aber fast überall toleriert werden. Es ist das Resultat heterogener Strukturen. "Die Ultras" gibt es eigentlich nicht. Stattdessen herrscht eine "Jeder-darf-alles-Mentalität", bei der ein anarchischer Ansatz dazu führt, dass Kleingruppen innerhalb der Gruppen einen radikaleren Weg einschlagen. Im Selbstverständnis der Ultras ist das normal. Selbstreinigungsprozesse sind daher schwer vorstellbar.

Die Prügeleien rivalisierender Gruppen schließen aber paradoxerweise einen Zusammenschluss als Ultra-Kollektiv wie in Dresden nicht aus. Das Motto lautet: "Getrennt in den Farben, in der Sache vereint." Es ist längst ein gemeinsamer Kampf gegen den DFB geworden - um den Besitzanspruch auf den Fußball. Und dieser Kampf ist gerade erst in die nächste Runde gegangen.

(erer)
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