New York Glamour für Ground Zero

Das neue World Trade Center, errichtet am Ort, wo einst die zerstörten Zwillingstürme standen, füllt sich mit Leben. Von den alten Mietern ist keiner mehr dabei. Statt kühler Finanzmanager geben jetzt Verlagsmenschen und Werbeleute den Ton an.

Etwas Glanz am Ground Zero? Maria Malone-Hodges hat sich angefreundet mit der Idee. Vielleicht liegt es an der Symbolik des Neubeginns, die ja so ur-amerikanisch ist und die jemand ganz besonders zu schätzen weiß, der dabei war, als die Zwillingstürme des World Trade Center 2001 in einer Schuttwolke versanken. Vielleicht liegt es am New Yorker Lebensgefühl, dessen einzige Gewissheit darin besteht, dass nichts für die Ewigkeit ist. Maria Malone-Hodges sagt es mit schlichten Worten. "Mir gefällt, dass es anders sein wird."

In den Wolkenkratzer, der die Twin Towers ersetzt, ist Anna Wintour eingezogen. Die Britin mit der Pagenfrisur, die nicht nur das Modemagazin "Vogue" zu verantworten hat, sondern selber eine New Yorker Ikone ist, seit Meryl Streep sie in der Filmkomödie "Der Teufel trägt Prada" als eigensinnige, exzentrische Chefredakteurin spielte. Wintour residiert im 26. Stock, im 28. sitzt das Lifestyle-Magazin "GQ", im 40. "Vanity Fair". Mehr Glamour geht eigentlich nicht. Hätte sich der Verlag Condé Nast, der die drei Zeitschriften neben anderen herausgibt, nicht dazu entschlossen 25 der insgesamt 104 Etagen anzumieten, stünde der gläserne Riese womöglich heute noch leer. Der Vermarkter des Hochhauses, die Durst-Gruppe, suchte lange händeringend nach Interessenten.

Früher, als es die Zwillingstürme noch gab, waren es Banken und Finanzdienstleister, die dort ihre Büros hatten. Und die Port Authority, die Hafenbehörde New Yorks und New Jerseys, der nicht nur Häfen unterstehen, sondern auch Fähren, Brücken, Tunnel und Flughäfen. Maria Malone-Hodges war zuständig für die George Washington Bridge, die über den Hudson nach Manhattan führt und Autofahrern mit ihren Megastaus den letzten Nerv rauben kann. Ihr Schreibtisch stand im North Tower, 64. Stock. Hätte sie am Morgen des 11. September 2001 nicht einen überfüllten Pendlerzug fahren lassen und auf den nächsten gewartet, wäre sie vielleicht gerade im Aufzug gewesen, als das erste entführte Flugzeug in den Turm krachte. So aber stand sie auf einer U-Bahn-Rolltreppe, als es zu stinken begann, als wäre in der Nähe ein Tank mit Diesel explodiert. Im nächsten Moment kamen auch schon Polizisten angerannt. "Lauft!", schrien sie, "Lauft um euer Leben!" Noch heute wird Maria nervös, sobald sie die Sirene einer Feuerwehr hört: "Wo fahren die hin? Was ist passiert?" Kein Wunder, dass die Mitarbeiter ihrer Behörde den Aufstand probten, als es hieß, auch die Hafenbehörde ziehe ins neue World Trade Center, das einst patriotischer Freedom Tower heißen sollte. Der Plan scheiterte am Veto der Belegschaft, und überhaupt, von den alten Mietern ist keiner mehr vertreten im neuen Bauwerk.

Als Erste unterschrieben vor fünf Jahren die chinesischen Manager eines Immobilienkonzerns namens Vantone. Sie richten ein China Center ein, um für Geschäfte mit der Volksrepublik zu werben. In die Stockwerke 58 und 59 zieht eine Firma ein, die Glücksspiele für Computer entwickelt. In der 87. lässt sich eine Mode-Werbeagentur nieder. Und dann eben Anna Wintour.

Während im alten World Trade Center Zahlenmenschen den Ton angaben, sind es im neuen die Kreativen. Schmunzelnd erzählt Maria Malone-Hodges von dem Radiosender, der nach Feierabend auf der Plaza zum Massentanz lud. "Nun ja, es war Ulk. Ein wenig mehr Stil, das kann gewiss nicht schaden." Gegenüber, auf der anderen Seite der vielspurigen West Street, öffnet demnächst eine Shopping-Mall, Brookfield Place, eine Ansammlung von Edelmarken: Hermès, Salvatore Ferragamo, Ermenegildo Zegna.

"Dies ist das sicherste Gebäude des Planeten", sagt David Childs, der Architekt des Riesen. Childs ist der Praktiker, der Daniel Libeskind ersetzte, den Künstler, der den Freedom Tower ursprünglich bauen sollte und ihn sich als filigrane Kristallspirale vorstellte. Von Libeskinds Entwurf ist nichts geblieben außer der Höhe, die symbolischen 1776 Fuß (541 Meter), die an das Gründungsjahr der USA erinnern. Childs ist kein Artist, dafür weiß er, wie man Büroflächen maximiert. Er hat gelernt, wie man bauen muss, um ein Gebäude so gut es geht gegen Terroranschläge zu wappnen. 60 Meter tief, ist das Betonfundament robust wie ein Luftschutzbunker. Die Eingangshalle ist von Wänden aus extrahartem Spezialbeton ummantelt, so dass ihr eine Bombe nichts anhaben könnte.

"Childs musste so viele Kompromisse eingehen, einige aus Geld-, andere aus Sicherheitsgründen, dass es nicht der erhoffte Durchbruch werden konnte", urteilt Paul Goldberger, New Yorks renommiertester Architekturkritiker. Spitzere Zungen lästern, dieses Hochhaus ohne Esprit, ohne Charakter könnte auch in Kanada stehen, was für einen New Yorker fast schon die ultimative Beleidigung ist. In der Kultsendung "Saturday Night Live" gab der Satiriker Chris Rock kürzlich eine Kostprobe jenes bissigen Humors, der zur Stadt gehört wie das Empire State Building. "Sie sollten den Namen ändern, in Ich-gehe-da-niemals-rein-Turm." Man müsse irre sein, um an die Stelle der Twin Towers einen genauso hohen Wolkenkratzer zu klotzen, fügte Rock hinzu. Im Frühjahr musste der Sicherheitschef des Komplexes seinen Hut nehmen, nachdem seine Wachleute nicht bemerkt hatten, wie drei Fallschirmspringer durch sämtliche Sperren bis aufs Dach gelangten, wo sie ihre tollkühnen Sprünge in die Tiefe mittels Helmkamera filmten. "Man sollte annehmen, dies sei das sicherste Haus der Welt", sagte einer der Springer später vor einem Richter. "Aber wir sind da einfach reingelaufen."

Maria Malone-Hodges kommentiert die Pannen mit der Gelassenheit einer Frau, die Schlimmeres erlebt hat. "Sicher werden Terroristen versuchen, dieses Gebäude zu zerstören", sagt sie. Aber sie denke nicht daran. Die Menschen hier hätten ein kurzes Gedächtnis, in Amerika gehe der Blick nach vorn, im energiegeladenen New York sowieso, ohne langes Innehalten, "ob das gut ist oder schlecht, es ist nun mal so." Vor ein paar Monaten war Maria Malone-Hodges zum ersten Mal oben, in der 102. Etage, von wo der Blick durch die Panoramafenster bei klarer Sicht 60 Kilometer weit ins Land geht. "Ein paar Minuten hat es gedauert, bis ich mich gefangen hatte. Ich musste mich erst wieder gewöhnen an diese Aussicht."

(RP)
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