Debatte um Vaterunser Gott, der Papst und die Versuchung

Düsseldorf · Papst Franziskus hat eine neue Debatte über das Vaterunser angestoßen. Er hält die Übersetzung der sechsten Bitte "Und führe uns nicht in Versuchung" für schlecht. Theologen behaupten, die Kritik sei nicht gerechtfertigt.

 Papst Franziskus (Archiv).

Papst Franziskus (Archiv).

Foto: dpa, FP wal pil

Drei Wörter von Papst Franziskus reichten, um die halbe Welt der Theologen in Aufruhr zu versetzen. So hat das katholische Kirchenoberhaupt beim italienischen Sender TV 2000 Bibelarbeit betrieben und angemerkt, dass es vom Vaterunser in manchen Ländern - darunter Italien und Deutschland - "keine gute Übersetzung" gebe. Konkret bei Bitte sechs: "Und führe uns nicht in Versuchung." Das entspreche nicht dem Bild eines Vaters. Der mache so etwas nicht, "ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan."

Das klingt einleuchtend. Ein liebender Gott ist Verführer zum Bösen? Warum sollte es nicht geboten sein, diesen Vers zu entschärfen, versöhnlicher zu formulieren? Schließlich hatten das unlängst auch die Bischöfe Frankreichs gemeistert, deren sechste Bitte nun lautet: "Lass uns nicht in Versuchung geraten." Es gibt größere theologische Brocken, mit denen die Kirche zu ringen hat. Und sind nicht erst in diesem Jahr zwei neue Bibelüberarbeitungen erschienen, in denen allerdings das Vaterunser jeweils unangetastet blieb?

"Es ist einfach richtig"

Dass insbesondere Theologen hierzulande - evangelische wie katholische - dagegen nun aufbegehren, ist weder typisch deutsch noch der bockige Widerstand einer Theologie, die noch bis Benedikt XVI. tonangebend in der Weltkirche war. Es ist lediglich Textarbeit, so der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding. Nach seinen Worten kann die Übersetzung aus dem griechischen Original nur so lauten, wie es in allen deutschsprachigen Gottesdiensten gebetet wird und wie es in der Lutherbibel, der reformierten Bibel und der katholischen Einheitsbibel geschrieben steht: "Und führe uns nicht in Versuchung." Das hat, so der katholische Theologe, "nichts mit Tradition zu tun; es ist einfach richtig".

Ist Gott demnach nicht nur barmherzig, sondern auch ein Verführer? Eine solche These ist nach Ansicht vieler in dieser Bitte gar nicht enthalten. Ihr ist lediglich zu entnehmen, dass es irgendwo eine Versuchung gibt, und dass der Mensch Gott darum bittet, ihn nicht dort hineinzuführen, ihn also davor zu bewahren. Weil wir dieser Versuchung - von denen es in der Bibel wimmelt und aus denen Menschen nicht selten gestärkt hervorgehen - vielleicht nicht gewachsen sind. Gott dem Verdacht auszusetzen, er sei nach bestehender Übersetzung ein unväterlicher Verführer, ist eine kindliche Auffassung vom Beten. "Ich bete ja nicht, um Gott zu etwas zu bewegen, was er nicht selber wollte. Vielmehr beten wir, um uns darauf einzustimmen, was Gott wirklich will", sagt Söding. Wenn wir ihn darum bitten, nicht dorthin zu führen, wo es die Versuchung gibt, ist das vielmehr Ausdruck eines tiefen Vertrauens in Gott. Wir bauen darauf, dass Gott es nicht tut und er auf unserer Seite ist.

Starkes ökumenisches Zeichen

Ähnlich sieht es auch der evangelische Theologe Martin Karrer, der bei der Überarbeitung der Lutherbibel die Gruppe Neues Testament leitete. Diese Bitte formuliert für ihn "die Abwehr einer Versuchung, Gott will keine Gefährdung des Menschen".

Die gleichlautende Übersetzung des Vaterunser in der katholischen und der evangelischen Kirche hierzulande ist - was vielleicht erst in dieser Debatte sichtbar wird - eins der stärksten ökumenischen Zeichen. "Dieses Gebet ist etwas, was wir total gemeinsam haben", sagt Söding. Wobei sich die katholische Kirche von der protestantischen Liturgie inspirieren ließ und die längere Fassung mit dem Zusatz "Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen" vor Jahren auch in den eigenen Gottesdiensten etablierte.

Sollte es eine katholische Neuübersetzung geben - etwa: "Führe uns an der Versuchung vorbei" oder "Und führe uns auch in der Versuchung" -, könnte dies zu einer weiteren ökumenischen Belastung werden. Mit einem solchen Alleingang aber rechnet Karrer nicht. "Ich sehe dem mit Gelassenheit entgegen", sagt der Theologe.

Dass die Übersetzungsdebatte viele Gläubige interessiert und berührt, hat verschiedene Gründe. Zum einen ist das Vaterunser mit seinen Bitten ein Herzensgebet. Und wenn Menschen überhaupt noch ein Gebet sprechen können, dann ist es dieses. Das hat mit der Kraft seiner Worte zu tun. Vielleicht ist es sogar das wirkmächtigste Gebet, weil es das einzige ist, das Jesus seine Jünger und in der Überlieferung somit auch uns zu beten gelehrt hat.

Liebenswert ist das Vaterunser nicht

Zudem: Im Vaterunser kann Gott zum ersten Mal vom Menschen direkt angesprochen werden. Mehr noch: Die Worte des Betenden sind nicht in die Weite des Himmels gerichtet, sondern an einen Adressaten. Nur wer seinen Ansprechpartner kennt, kann mit ihm Freundschaft schließen und ihn als Vater verstehen. Dieser neue Ton ist der neue Geist, der in diesen wenigen Zeilen zur Sprache kommt - jener der Vertrautheit. Im Grunde ist es ungeheuerlich, Gott den Schöpfer mit Du anzureden und im Du zu finden. Das "große Du" hat Margot Käßmann dieses so fein gewobene Gebet genannt - mit seinen sieben Bitten, einer heiligen Zahl. Während exakt im Zentrum der Bitten das tägliche Brot steht, der Leib Christi, der beim letzten Abendmahl gegeben wird zur Vergebung der Sünden. Das Vaterunser kreist um diesen Kern, um die Eucharistie, und ist damit sogar ein Ostergebet: Es knüpft ans letzte Abendmahl an und endet mit seiner letzten und siebten Bitte am Kreuz - "erlöse uns von dem Bösen". Es führe in "die ganze Weite des Menschseins aller Zeiten", hat Papst Benedikt XVI. einmal gesagt.

Nur liebenswert ist das Vaterunser nicht, wie Thomas Söding sagt. Wenn wir Gottes Namen heiligen sollen, wird Ehrfurcht eingefordert, und wenn wir seinen Willen geschehen lassen, wird dies zum Nachweis seiner Macht. Das Vaterunser hat viele Lesarten; nur eine lässt sie nach Söding nicht zu: "Gott als guten Daddy zu verstehen".

(los)
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