Schuldenkrise in Griechenland Das Land der leeren Geldautomaten

Athen · Minister Varoufakis setzt im Parlament die Volksabstimmung durch. Ab Montag sind die Banken geschlossen, viele Griechen hoben im Vorfeld einen Großteil ihres Geldes ab. Griechenland befindet sich im Ausnahmezustand.

 Griechenlands Banken bleiben ab Montag vorerst geschlossen.

Griechenlands Banken bleiben ab Montag vorerst geschlossen.

Foto: dpa, av jak

Zwölf Stunden hat Julie Papas im Flieger gesessen, um aus Boston in den USA, wo sie lebt, nach Griechenland zu reisen, ins Land ihrer Großeltern. Zehn Tage will die 28-Jährige bleiben, aber der Urlaub fängt nicht gut an: Auf der Ankunftsebene des Athener Flughafens steht die junge Amerikanerin gestern Mittag vor einem Geldautomaten. Aber die Maschine streikt. "Transaktion aus technischen Gründen nicht möglich", lautet die Botschaft auf dem Bildschirm. "But I need cash" ("Aber ich brauche doch Bargeld"), sagt die Touristin verzweifelt. So wie der Besucherin aus Boston ging es am Sonntag zahllosen Reisenden in Griechenland: Sie standen vor leeren Geldautomaten.

Das Land ist im Ausnahmezustand, seit Premierminister Alexis Tsipras nach einer Marathonsitzung des Kabinetts am frühen Samstagmorgen vor die Fernsehkameras trat und die Volksabstimmung ankündigte, mit der Finanzminister Gianis Varoufakis zuvor gedroht hatte. Am kommenden Sonntag sollen die Griechen über das jüngste Kompromissangebot der Geldgeber entscheiden.

Tsipras: Angebot der Geldgeber ist "erpresserisches Ultimatum"

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte noch am Freitag an Tsipras appelliert, dieses "großzügige Angebot" der Geldgeber anzunehmen. Aber der griechische Premier schlug es sofort aus. Das Angebot der Geldgeber sei ein "erpresserisches Ultimatum", giftete Tsipras. In seiner Fernsehansprache ließ er keinen Zweifel daran, dass er sich ein Nein der Griechen erhofft: Der Vorschlag der Gläubiger lade "untragbare Bürden auf die Schultern des griechischen Volkes". Staatsminister Nikos Pappas, einer der engsten Berater des Premiers, sagte: "Unser Volk wird mit Nein stimmen."

Auch die griechische Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou, eine besonders schrille Stimme des Linksbündnisses Syriza, appellierte zum Auftakt der Parlamentsdebatte über die Terminierung der Volksabstimmung an die Griechen, sie sollten "ein dröhnendes Nein" zu dem Angebot der Gläubiger aussprechen. Mit 178 gegen 120 Stimmen beschloss das Parlament gestern am frühen Morgen die Durchführung der Volksabstimmung.

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Tsipras wirbt für ein "stolzes Nein" und erklärt, der kommende Sonntag werde "der Tag der Wahrheit für die Gläubiger". Vor allem aber dürfte er ein Tag der Wahrheit für Tsipras und die Griechen werden. Möglicherweise rutscht das Land schon vor der Abstimmung in die Pleite.

Ausgang des Referendums ist unklar

Damit ist die Volksabstimmung eigentlich gegenstandslos. Umso schwerer ist ihr Ausgang vorherzusagen - sofern es der immer dilettantischer wirkenden Regierung Tsipras überhaupt gelingt, den Urnengang einigermaßen korrekt zu organisieren, woran viele zweifeln. In einer Umfrage sprachen sich zwar 57 Prozent für einen Kompromiss in den Gläubigerverhandlungen aus, nur 29 Prozent wollten es zu einem Bruch kommen lassen. Aber die Umfrage wurde Mitte vergangener Woche erhoben, bevor Tsipras das Referendum ankündigte. Und in einer anderen Befragung waren 59 Prozent für die harte Linie der Regierung.

Die politische Landschaft ist ohnehin seit dem Wahlsieg des Bündnisses der radikalen Linken (Syriza) Ende Januar stark gespalten. Und in der kommenden Woche vor der Volksabstimmung werden sich die Gegensätze wohl noch weiter verschärfen - etwa, wenn die Banken schließen sollten.

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"Die Gläubiger wollen uns erniedrigen, sie wollen die demokratisch gewählte Regierung Tsipras stürzen", sagte Stefanos Stefanidis, ein Passant, der am Athener Omoniaplatz die Titelseiten der an den Kiosken ausgehängten Zeitungen studierte. "Tsipras will alles zerstören, was wir seit dem Beitritt zur EU und zur Eurozone erreicht haben", meinte dagegen die 55-jährige Verkäuferin Maria Petropoulou, die auf dem Weg zur Arbeit war.

Politiker nehmen ihr Geld von der Bank

Während Tsipras mit Vollgas auf den Grexit zusteuert, entdecken selbst drachmenverliebte und europafeindliche Regierungspolitiker eine plötzliche Zuneigung zum Euro. So wurden zahlreiche Syriza-Abgeordnete und Minister beobachtet, als sie vor dem Bankautomaten der National Bank of Greece im Parlament anstanden, um Geld zu ziehen.

Selbst Kostas Lapavitsas, ein Chefideologe des linksextremen Parteiflügels und einer der erklärten Anhänger der Rückkehr zur alten Währung Drachme, besorgte sich noch schnell Euro-Scheine. So groß war der Andrang der Abgeordneten, dass die Banknoten schließlich ausgingen.

Mehr Glück hatte, wer sich gleich nach der schicksalhaften Ankündigung der Volksabstimmung durch Premierminister Tsipras noch schnell in der Nacht aufmachte, um Bargeld zu holen. "Ich bin in Pantoffeln und Morgenmantel zum nächsten Geldautomaten gelaufen und habe 700 Euro abgehoben, mein Tageslimit", erzählt Aristidis Panagopoulos.

Viele Geldautomaten sind bereits leer

Sonntagfrüh steht der 67-jährige Rentner in einer Schlange vor einem Geldautomaten der Alpha Bank im Athener Stadtteil Pangrati, um weitere 700 Euro abzuheben. "Ich möchte nicht am Montag mit Drachmen auf dem Konto aufwachen", sagt der Pensionär.

Aber er muss weiter zittern: Kurz bevor er an die Reihe kommt, ist auch dieser Geldautomat leer. Panagopoulos macht sich auf den Weg zur nächsten Bankfiliale. Die Notlage der Banken hat sich seit dem Wochenende dramatisch zugespitzt. Am Samstag und Sonntag waren zeitweilig in Athen und anderen griechischen Städten mehr als die Hälfte der Geldautomaten leer. Die griechische Zentralbank organisierte Sondertransporte, um die Geschäftsbanken mit Banknotenpaketen zu versorgen.

Sicherheitsfirmen luden dann die Geldautomaten teils mehrfach am Tag nach, um Engpässe auszugleichen. Zugleich begrenzten einige Banken die Bargeldabhebungen und Auslandsüberweisungen. Wie viel Geld am Wochenende aus dem griechischen Bankensystem abgeflossen ist, ist noch nicht bekannt, aber es dürfte nach ersten Schätzungen aus Bankenkreisen mindestens eine Milliarde Euro gewesen sein.

Tourismus leidet besonders

Die Einführung der Kapitalkontrollen, die laut Ministerpräsident Tsipras ab Montag gelten, werden die rezessionsgeplagte griechische Wirtschaft zusätzlich strangulieren. Ein besonders schwerer Rückschlag könnte sie für den Tourismus sein. Der Fremdenverkehr ist der einzige Wachstumsmotor des Landes. 2013 und 2014 verzeichnete das Land trotz der Krise zwei aufeinanderfolgende Rekorde bei den Besucherzahlen und den Tourismuseinnahmen. Doch die politischen Turbulenzen seit dem Wahlsieg von Alexis Tsipras haben bereits viele Urlauber vergrault.

"Schon seit März hatten wir viele Absagen", berichtet Marios Tselepis, der Manager eines kleinen Hotels im Athener Stadtzentrum. Das Haus wird vor allem von ausländischen Individualreisenden besucht, die zwei, drei Tage in Athen verbringen, bevor sie zu den Ägäis-Inseln weiterfahren.

"Vergangene Woche hat fast ein Drittel unserer gebuchten Gäste storniert", sagt Tselepis. Am Wochenende hat er in den ausländischen Fernsehnachrichten, die man in seinem Hotel über Satellit empfangen kann, die Bilder von den langen Schlangen vor den griechischen Geldautomaten und Tankstellen gesehen. "Das wird uns für diese Saison den Rest geben", stellt der Athener Hotelier resigniert fest.

(RP)
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