Brüssel/Athen/Berlin "Grexit auf Zeit" spaltet Europa

Brüssel/Athen/Berlin · Der Vorstoß von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), ohne eine Einigung im Schuldenstreit einen vorübergehenden Euro-Austritt Griechenlands in Betracht zu ziehen, hat zu heftigen politischen Turbulenzen geführt.

Falls eine Einigung über Verhandlungen über ein neues Rettungspaket scheitere, sollten Athen "rasche Verhandlungen" für eine Eurozonen-Auszeit angeboten werden - diese Idee des deutschen Finanzministers wurde zwar gestern Abend von seinen europäischen Amtskollegen als Formulierungsvorschlag an die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone für die festgefahrenen Gespräche weitergereicht. Aus deren Reihen war jedoch zuvor bereits klare Ablehnung laut geworden. Vor allem der französische Staatspräsident François Hollande wandte sich vehement dagegen, indem er erklärte, es gebe keinen provisorischen "Grexit". "Griechenland ist in der Euro-Zone, oder Griechenland ist nicht mehr in der Euro-Zone. Ein Grexit würde bedeuten, dass Europa sich rückwärts bewegt. Ich möchte das nicht."

Am Samstag hatte das Schäuble-Papier, das eine mindestens fünfjährige Euro-Zonen-"Auszeit" Athens ins Spiel brachte, die Irritationen ausgelöst. Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Axel Schäfer sagte unserer Zeitung: "Es gibt eine Riesenverärgerung über Schäuble in der SPD. Wenn er einen Grexit tatsächlich als Vorschlag in den Verhandlungen um den Euro einreichen will, muss das vorher durch den Bundestag." Der Bundestags-Fraktionschef der Grünen, Anton Hofreiter, sprach von einem unverantwortlichen Vorstoß.

Als SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel mitteilte, über Schäubles Idee durchaus im Bilde zu sein, warfen ihm zahlreiche Parteifreunde vor, er verrate SPD-Ideale und trete das sozialdemokratische Europa-Erbe mit Füßen, um als harter Verhandler in der Griechenland-Krise Punkte zu sammeln. EU-Parlamentschef Martin Schulz warnte: "Wir müssen vermeiden, dass Griechenland und die Griechen gedemütigt werden."

Kanzlerin Angela Merkel erklärte vor dem Euro-Sondergipfel in Brüssel zunächst nur, eine "Einigung um jeden Preis" werde es nicht geben.

Nicht nur in Frankreich wurde der Widerstand gegen die strikte Linie Deutschlands in der Griechenlandkrise deutlicher. Die römische Zeitung "Il Messaggero" zitierte Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi gestern mit den Worten: "Italien will keinen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro, und in Richtung Deutschland sage ich: Jetzt reicht es."

Nach 14-stündiger Diskussion hatten die Euro-Finanzminister gestern Nachmittag den Staats- und Regierungschefs ein vierseitiges Papier mit Bedingungen für eine Lösung der Griechenland-Krise überlassen. Diese verhandelten unter hohem Zeitdruck bis in die Nacht weiter über ein politisches Signal, ob es ein drittes Rettungspaket für Griechenland von bis zu 86 Milliarden Euro geben kann. Der Finanzbedarf bis zum 20. Juli wird bei sieben Milliarden Euro gesehen, bis Mitte August sind weitere fünf Milliarden notwendig.

Allerdings verlangen die Euro-Partner von Griechenland Nachbesserungen an dem vorgelegten Reformpaket, das Voraussetzung für neue Hilfsmilliarden ist. Nach den Worten des finnischen Ministers Alexander Stubb fordern die Euro-Finanzminister, dass das Parlament in Athen bis Mittwoch Reformgesetze verabschiedet.

Die anderen Euro-Staaten verlangen von Athen Garantien dafür, dass die zugesagten Reformen umgesetzt werden - etwa Änderungen am Arbeitsmarkt, bei den Renten, der Mehrwertsteuer und Privatisierungen. Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras sagte, er wolle einen "ehrlichen Kompromiss" erzielen. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz mahnte eine Einigung an: "Es geht ja nicht nur um einen Deal hier heute. Es geht um den Zusammenhalt Europas."

Die Zeit drängt, denn Griechenland droht die Pleite. Das Land muss im laufenden Monat 4,2 Milliarden Euro an die Gläubiger zurückzahlen, die es nicht hat. Athen erhielt in den vergangenen fünf Jahren 240 Milliarden Euro an internationalen Hilfen. Auch im Falle einer Einigung in der Euro-Gruppe auf ein neues Hilfsprogramm sollen in Griechenland bis auf weiteres Einschränkungen im Kapitalverkehr in Kraft bleiben. Die Banken sind seit mehr als einer Woche geschlossen. Die Griechen können derzeit an den Geldautomaten nur höchstens 60 Euro am Tag abheben.

Russland prüft nach den Worten von Energieminister Alexander Nowak Griechenland-Hilfen in Form von Gaslieferungen. Es ist das erste konkrete und öffentliche Hilfsangebot der Russen. Bisher hatte die russische Führung stets betont, dass die Finanzkrise innerhalb der EU gelöst werden müsse.

(RP)
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