Analyse Schwanger + Alkohol = Straftat?

Berlin · Ein Kind kam in Großbritannien mit einer Behinderung auf die Welt, weil die Mutter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken hat. Ein Gericht muss nun klären, ob sich die Mutter strafbar gemacht hat.

Kampagne gegen Alkohol: Das Kind trinkt immer mit.

Kampagne gegen Alkohol: Das Kind trinkt immer mit.

Foto: dpa

In den Akten des Gerichts wird das Mädchen nur mit den Initialen "CP" geführt. Der richtige Name ist zum Schutz des Kindes nicht bekannt, dafür die Diagnose: Fetales Alkoholsyndrom (FAS). Die Mutter hatte während der Schwangerschaft Alkohol getrunken. CP kam behindert auf die Welt, ihre Mutter hat sie lebenslang geschädigt.

Ist das Körperverletzung oder sogar versuchter Totschlag? Über diese Frage wird in Großbritannien aktuell nicht nur diskutiert, sondern auch vor Gericht verhandelt. Denn ein Anwalt verlangt im Namen von CP eine Entschädigung aus dem staatlichen Opferfonds für Gewaltverbrechen. In erster Distanz hatte ein Gericht dem Anwalt Recht gegeben und geurteilt, die Mutter habe dem Kind bösartig Gift verabreicht. Ein Berufungsgericht hob dieses Urteil wieder auf. Die juristische Begründung: Die Mutter habe zwar Alkohol getrunken, damit jedoch nur den Fötus geschädigt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein Wesen mit persönlichkeitsrechtlichem Status, weshalb an ihm auch kein Verbrechen begangen werden kann. Das heißt im Klartext: CP war noch kein Mensch, ihre Mutter also juristisch unschuldig.

Dabei können schon kleinste Mengen Alkohol in der Schwangerschaft großen Schaden anrichten. Und trotzdem riskieren auch in Deutschland noch immer viele Frauen leichtfertig, dass sie ein behindertes Kind auf die Welt bringen. Nach Angaben der Bundesregierung trinkt mindestens jede siebte schwangere Frau Alkohol. Jährlich kommen dadurch allein hierzulande rund 2000 Kinder mit FAS auf die Welt, die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher sein. "Die Schäden sind zu einhundert Prozent vermeidbar und stellen die betroffenen Kinder und Familien vor lebenslange Herausforderungen", kritisiert die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler.

Denn durch Alkohol kann das Gehirn des Kindes noch im Bauch der Mutter schwere Schäden davontragen. Manche Kinder entwickeln dadurch keinen Schluckreflex und müssen nach der Geburt mit einer Magensonde ernährt werden, andere Kinder werden schnell krank. FAS hat viele Gesichter: Einige Kinder haben körperliche Behinderungen, andere bekommen häufig Angstattacken oder können sich nicht an Regeln halten und sind aggressiv.

Auch die heute siebenjährige CP kam mit Entwicklungsstörungen auf die Welt. Obwohl ein Sozialarbeiter die Mutter vor den Folgen warnte, trank diese während der Schwangerschaft weiter. Täglich habe sie eine halbe Flasche Wodka und acht Dosen Bier getrunken, schreibt die britische Zeitung "Guardian". Die Mutter war süchtig, kaum in der Lage, ihr Verhalten zu kontrollieren. Und selbst wenn doch: Beging sie damit ein Verbrechen?

Die Meinungen gehen darüber nicht nur in England, sondern auch in Deutschland auseinander. Rechtlich ist die Lage eindeutig: "Bislang hätte so eine Klage in Deutschland keine Aussicht auf Erfolg, dafür wäre eine Gesetzesänderung erforderlich", sagt Gila Schindler, Fachanwältin für Sozialrecht. Auch hier sind Kinder erst ab Geburt Rechtssubjekte. Erst dann können sie juristisch gesehen Opfer einer Straftat werden. Gila Schindler hofft, dass dies auch so bleibt. Sie engagiert sich seit vielen Jahren für FAS-Opfer.

Anders sieht das der Mediziner Professor Hans-Ludwig Spohr, Leiter des FASD-Zentrum an der Berliner Charité. FASD steht für Fetale Alkoholspektrum-Störungen, es ist der Oberbegriff für alle alkoholbedingten Störungen. "Um es klar zu sagen: Es ist de facto eine Kindesmisshandlung, auch wenn das Juristen vielleicht anders sehen", sagt Spohr. Immerhin würde ein potenziell gesunder Embryo durch Alkohol vergiftet: "Aus ärztlicher Sicht handelt es sich um eine pränatale Kindesmisshandlung."

Den Alkoholmissbrauch zu beweisen ist schwer, das weiß Spohr aus Erfahrung: "Im Zweifel sagen mir die Frauen, sie hätten nichts getrunken, wenn ich sie darauf anspreche." Bislang könne man nur Aufklärungsarbeit leisten.

Das ist auch die Linie der Drogenbeauftragten: "Ich setze voll auf Prävention". Niemand mit Kinderwunsch wolle das Ungeborene absichtlich schädigen, davon ist Marlene Mortler überzeugt: "Oftmals ist schlicht Unwissenheit über die Gefahren des Konsums von Alkohol oder auch Tabak während der Schwangerschaft im Spiel." Das erlebt auch Gila Schindler: "Ich höre heute noch Geschichten, in denen Gynäkologen Patientinnen sagen, dass in der Schwangerschaft hin und wieder ein Glas in Ordnung sei. Das ist verheerend."

Manche riskieren die Gesundheit des Kindes aus Unwissenheit, andere Frauen sind wie CPs Mutter süchtig. Schon mit 13 Jahren soll sie zum ersten Mal Alkohol getrunken haben. Nur vier Jahre später trank sie laut "Guardian" regelmäßig und nahm Drogen. Cannabis, LSD, Ampethamine - sie soll kaum etwas ausgelassen haben. "Diese Frauen brauchen Hilfe und Unterstützung, aber bestimmt keine Strafen", sagt Anwältin Gila Schindler. Trotzdem gäbe es auch bei ihren Klienten entsprechende Nachfragen. Dabei geht es nicht nur um die moralische Komponente. "Es geht nicht nur um Bestrafung, sondern auch um Opferentschädigung", sagt Schindler. Denn auf die hätten FAS-Kinder - wie in Großbritannien - nur Anspruch, wenn der Alkoholkonsum während der Schwangerschaft als Straftat eingestuft werden würde.

Sollte das englische Gericht in wenigen Wochen zugunsten der Kläger entscheiden, will Hans-Ludwig Spohr auch in Deutschland die Diskussion über eine Gesetzesverschärfung anstoßen. Immerhin wäre England das erste Land in der Europäischen Union, das einen gesundheitsschädigenden Alkohol- oder Drogenkonsum unter Strafe stellt. Egal wie das Urteil ausfällt, in einem Punkt sind sich alle Experten einig: Während der Schwangerschaft sollten Frauen keinen Tropfen Alkohol trinken.

(RP)
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