London Großbritanniens Revoluzzer

London · Der Brite Russell Brand ist Schauspieler und Comedian. Neuerdings macht er sich auch als Provokateur einen Namen. Der 39-Jährige wettert gegen Politiker und macht sich zum Anwalt der kleinen Leute. Mit Erfolg.

Kein Entkommen vor Russell Brand. Der britische Comedian ist zurzeit auf allen Kanälen des Königreichs präsent, wenn auch nicht als Komiker: Er gab ein Interview in "Newsnight", der wichtigsten Politikshow der BBC, war Zielscheibe von wütenden Kommentaren in der nationalen Presse und Dauergast in Radio-Frühstückssendungen. Das neueste Gerücht: Brand tritt bei der nächsten Bürgermeisterwahl in London an. Das allerdings hat der 39-Jährige mittlerweile dementiert. Da gebe es, meinte er mit Blick auf den exzentrischen Londoner Bürgermeister Boris Johnson, schon einen Clown im Amt.

Es ist erstaunlich: Der Mann, der sich bisher vornehmlich als Schauspieler (in Filmen wie "Männertrip", "Kein Sex mit der Ex"), ehemaliger Ehemann von US-Sängerin Katy Perry und Stand-up-Comedian hervorgetan hat, wird zur politischen Größe. Als Aktivist ist Brand schon vorher aufgefallen. Er setzte sich für die Palästinenser in Gaza, gegen den G 20-Gipfel in London und für mehr Spiritualität im Alltag ein. Doch jetzt scheint er so etwas wie ein politischer Messias geworden zu sein. Zumindest für die nicht unbeträchtliche Gemeinde seiner Fans: beim Kurznachrichtendienst Twitter sind es immerhin 8,4 Millionen.

Der Grund für das plötzliche Interesse: Brand hat ein Buch veröffentlicht. "Revolution" erschien Ende Oktober und verkauft sich prächtig. Das 372 Seiten lange Werk beklagt die allgemeine Misere: Der Planet wird langsam zerstört, die Armen werden ausgesaugt und die Reichen immer reicher. Multinationale Unternehmen sind eine Pest, der Kapitalismus funktioniert nicht, der kleine Mann bleibt immer der Verlierer. Er habe noch nie gewählt, sagt Brand, denn die Politik biete keine Lösungen. Die eine Partei sei wie die andere, alles "Schweine, die aus dem gleichen Trog fressen". Genug, ruft Brand, es braucht eine neue Ordnung, es braucht eine Revolution.

Wie die aussehen soll, wie man sie herbeiführt oder wie es danach weitergeht: Da bleibt Brand eher vage. Radikale Dezentralisierung schlägt er vor, und eine Annullierung sämtlicher Privatschulden. Die Enteignung von Unternehmen wie General Motors oder Monsanto. Mehr zivilen Ungehorsam. Spiritualität "in welcher Form auch immer zum Zentrum unserer sozialen Strukturen zu machen". Es ist alles nicht sehr gründlich durchdacht. Das mag die Rezensenten aufregen, ändert aber nichts daran, dass das Buch zurzeit auf Platz zwei der Bestseller-Liste beim Online-Versandhändler Amazon steht.

Die Begeisterung für den Mann, der unverschämt gut aussieht, verrät einen Trend, der immer stärker wird: Die Briten wenden sich von herkömmlicher Politik ab und Charismatikern zu. Umso mehr, wenn sie Witz haben. Brand kann als Spaßguerillero reüssieren, weil die Leute genug haben von der Alternative: Sie wollen nicht mehr Karrieristen in Anzügen zuhören, deren Leben nur aus Politik besteht. Dieser Aufstand gegen das Establishment hat im konservativen Spektrum seine Galionsfigur in Nigel Farage, dem Chef der rechtspopulistischen "United Kingdom Independence Party".

Bei den Linken bietet sich Brand nun als Revoluzzer-Ikone an. Beiden Protestbewegungen, links wie rechts, liegt ein gemeinsames Ressentiment zugrunde: das Gefühl der Machtlosigkeit vor den Folgen der Globalisierung. Eine Wirtschaftskrise, ausgelöst von der Hochfinanz, wird auf dem Rücken der kleinen Leute ausgetragen - und die gewählten Politiker haben keine Rezepte. Kein Wunder, dass in Zeiten der Krise extreme Antworten immer mehr Fans finden.

(RP)
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