Wirtschaft sieht ihre Felle davon schwimmen Große Koalition verärgert Wirtschaft

Berlin · Mindestlohn und Milliarden für die Rente - die Wirtschaft reibt sich die Augen über den Kurs der großen Koalition. Bei den Verbänden macht sich eine Jetzt-sind-wir-mal-dran-Stimmung breit. Schwarz-Rot hat aber wenig im Angebot.

Was waren die Zeiten schön für die Wirtschaft, als die erste große Koalition unter Merkel Deutschland regierte. Damals führten Union und SPD die Rente mit 67 ein, für die Autoindustrie wurde in der Krise die Abwrackprämie erfunden, und zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes machte die Regierung großzügig Kurzarbeitergeld locker. Und nun ist alles anders: Der Mindestlohn macht den Unternehmen zu schaffen, die zusätzlichen Milliarden-Ausgaben für die Rente werden in naher Zukunft die Sozialbeiträge steigen lassen und mit Neuregelungen zur Frauenquote, Elterngeld und Pflegezeit wird die Organisation der Mitarbeiter in den Unternehmen komplizierter.

Die Sozialdemokraten hatten nach ihrem historisch schlechtesten Bundestagswahlergebnis 2009 den Schwur getan, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen und sich mit den Gewerkschaften zu versöhnen. Die dazugehörigen Wahlversprechen diktierte SPD-Chef Sigmar Gabriel in den Koalitionsvertrag, auf den Union und SPD nun einstimmig verweisen, wenn sie Kritik ernten für ihre Politik.

Beim Parlamentarischen Abend der Wirtschaftsverbände in dieser Woche in Berlin versuchte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), die Politik der Bundesregierung mit einer Prise Ironie zu verkaufen. Er zählte auf, was die Regierung bisher so getan hat und erwähnte auch, dass man den Mindestlohn einführe - "zur besonderen Freude der Wirtschaft". Doch die flapsige Ansprache kam bei den verantwortlichen Unternehmens-Verbänden von BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie), BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) und DIHK (Deutscher Industrie- und Handelskammertag) nicht so gut an. Zumal Altmaier demonstrative Einigkeit mit den Sozialdemokraten an den Tag legte. Selten habe eine Koalition so gut funktioniert wie diese, sagte Altmaier und blickte zufrieden auf die ebenfalls anwesenden SPD-Ministerinnen Andrea Nahles und Manuela Schwesig.

Die Wirtschaftsvertreter schauten eher grimmig drein. Trotz brummender Konjunktur sieht die Wirtschaft ihre Felle davon schwimmen. Dem Land fehlen Milliarden-Investitionen - nicht nur im Verkehr, der Fachkräftemangel ist bereits spürbar, und der Breitbandausbau geht viel zu langsam voran. "Ich werbe dafür, dass Politik und Wirtschaft wieder besser zusammenarbeiten", sagte DIHK-Chef Eric Schweitzer an diesem Abend. "Dabei möchte ich nicht verhehlen, dass so manche Entscheidung der Bundesregierung, wie die Rente mit 63, uns nach wie vor irritiert", kritisierte er offen. Gleichwohl versicherte er, dass die Wirtschaft als "konstruktiver Partner" zur Verfügung stehe.

Der Ton zwischen Regierung und Wirtschaft ist noch höflich, doch schon vom Treffen mit Regierung und Gewerkschaften in der vorherigen Woche in Schloss Meseberg hatte sich die Wirtschaft mehr versprochen. Deren Spitze war mit der Erwartungshaltung angereist, dass nach den Beschlüssen von Mindestlohn und Rentenmilliarden zumindest bei der Tarifeinheit ein Beschluss zu ihren Gunsten fallen müsse. Doch bis heute gibt es in dieser Frage keinen Konsens. Nach dem Treffen gab es kaum Handfestes zu verkünden. Den Worten müssten Taten folgen, forderte BDI-Präsident Ulrich Grillo als Minimalkonsens. Nun hofft die Wirtschaft auf eine verträgliche Energiewende und einen beschleunigten Breitbandausbau.

Eine Änderung des Kurses der Regierung ist allerdings nicht in Sicht: Der Wirtschaftsflügel der Union rutscht innerhalb der großen Koalition in eine Außenseiterposition.

(qua)
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