Berlin Große Rochade bei der SPD

Berlin · Vier Monate vor der Bundestagswahl muss die SPD die Posten des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, des Generalsekretärs und der Bundesfamilienministerin neu besetzen.

Berlin ist wie ein Backofen. Wenn es einmal heiß ist, weicht die warme Luft auch am Abend nicht aus der Stadt. Als an diesem Montagabend bei noch fast 30 Grad Kanzlerkandidat Martin Schulz und Familienministerin Manuela Schwesig das traditionelle Fest der SPD-Parteizeitung "Vorwärts" im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg besuchen, wissen sie schon, dass die Sozialdemokraten ihre Wahlkampfaufstellung noch einmal ändern müssen. Beide lassen sich nicht anmerken, dass der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, ihnen die traurige Nachricht von seiner schweren Lymphdrüsen-Krebserkrankung übermittelt hat.

Schon lange hatte der Landesvater von der Ostseeküste die bisherige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig als seine Nachfolgerin im Blick. Die 43-jährige zweifache Mutter folgt gerne dem Ruf als Regierungschefin in ihr Heimatland, wie sie gestern in Berlin erklärte. Schwesig gilt als ehrgeizig. Auch das Amt der Regierungschefin im Osten dürfte nicht ihre letzte politische Station werden.

Nachdem Sellering gestern dann selbst Schwesig als neue Landesmutter ins Spiel gebracht hatte, tat sich für SPD-Parteichef Schulz eine Baustelle auf. Schwesigs Wechsel gab ihm die Gelegenheit eine große Personal-Rochade zu vollziehen, die insbesondere die Herzkammer des SPD-Bundestagswahlkampfs betrifft: Die bisherige Generalsekretärin Katarina Barley wechselt an die Ressortspitze des Familienministeriums. Ihren Job übernimmt der bisherige stellvertretende Fraktionschef und Wirtschaftsexperte Hubertus Heil. Heil war schon einmal von 2005 bis 2009 Generalsekretär. Als solcher hatte er das historisch schlechteste Ergebnis der SPD seit Gründung der Bundesrepublik im Jahr 2009 zu verantworten. Das ändert nichts daran, dass er die Parteizentrale gut kennt, einen Wahlkampf steuern kann und so aus dem Stand in der Lage ist, den Job von Barley zu übernehmen. Schulz nannte Heil eine "ganz ausgezeichnete Verstärkung in diesem Wahlkampf".

Vertreter des linken Parteiflügels zeigen sich hingegen von der Personalie regelrecht schockiert. Heil gehört in der Bundestagsfraktion zur Gruppe der Netzwerker und kann damit weder dem rechten noch dem linken Flügel zugerechnet werden. Dennoch vertritt er aus Sicht der Parteilinken aber eine eher konservative und wirtschaftsfreundliche Linie. Er ist auch deswegen umstritten, weil er als Mann eine Frau in dem strategisch wichtigen Amt ersetzt. Schulz kennt die Bedenken gegen Heil. Sigmar Gabriel hatte Heil auch schon auf dem Zettel, als das Wirtschaftsministerium mit seinem Wechsel ins Außenamt neu besetzt werden musste. Die Bedenken gegen Heil in der Fraktion aber waren zu groß. Nun hebt Schulz Heils Qualitäten hervor: "Was wir brauchen in der SPD, ist die Mobilisierung unserer Basis, und da ist Hubertus Heil ein sehr erfahrener Mann."

Schon kursieren die ersten Verschwörungstheorien in der Partei: Ex-Parteichef Sigmar Gabriel habe sich offensichtlich für Heil eingesetzt. Nicht nur, weil Gabriel wie Heil Niedersachse ist. Ihm sei Barley seit der desaströsen Niederlage in NRW ein Dorn im Auge gewesen. Der Generalsekretärin wurde immer weniger zugetraut, dass sie den Bundestagswahlkampf wirklich managen kann. Zwischenzeitlich gab es den Versuch, den früheren Wahlkampfmanager und heutigen Staatssekretär Matthias Machnig als Leiter des Wahlkampfteams zu reaktivieren. Der aber winkte ab. Dennoch habe Gabriel bei Schulz durchsetzen wollen, dass Barley ihren Hut nehmen muss, berichten Insider. Schulz habe das bisher verhindert und Barley vehement gegen Gabriels Kritik verteidigt, hieß es gestern aus der Fraktion.

So drängt sich der Eindruck auf, das Ausscheiden von Schwesig sei - so zynisch das angesichts Sellerings schwerer Krankheit klingt - ein willkommener Anlass gewesen, Barley wegzuloben. Parteistrategen wollen diese Interpretation nicht gelten lassen. Familienpolitik sei eines der zentralen Felder des SPD-Wahlkampfes, sagt einer aus Schulz' Wahlkampfteam. Dass man das Ministerium mit einer Kämpfernatur besetzen müsse, sei daher klar. Aber stimmt das wirklich? Schwesig, die ihren Posten als Partei-Vizechefin behält, wird im Wahlkampf sicherlich weiterhin in der Familienpolitik mitmischen. Barley hingegen kann in der auslaufenden Legislatur im Ministerium nichts mehr bewegen. Und wäre sie tatsächlich eine so grandiose und unumstrittene Generalsekretärin, wie Strategen gestern glauben machen wollten, hätte sich wohl auch eine andere Besetzung für das Ministerium finden lassen.

Der Wechsel im Willy-Brandt-Haus trifft die SPD in einem sensiblen Moment. Der Auftrieb in Partei und Umfragen, den die Nominierung von Schulz zum Kanzlerkandidaten erzeugte, ist nahezu verpufft. In den Umfragewerten steht die SPD kaum besser da als zu Gabriels Zeiten. Auch die alten Mechanismen der Selbstzerfleischung kehren zurück.

(RP)
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