Münster Grüne flirten mit Linksbündnis

Münster · Die Grünen entscheiden sich auf ihrem Bundesparteitag in Münster für die Vermögensteuer, aber nur unter unerfüllbaren Bedingungen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann erleidet eine Niederlage.

Mehr als sechs Stunden ließen sich die Grünen Zeit, um ausführlich über soziale Gerechtigkeit zu debattieren. Annähernd 50 Redner kamen auf dem Bundesparteitag in Münster zu Wort. Am Ende haben sich die Grünen für einen pragmatischen Weg entschieden, der sie deutlich weniger links positioniert als vor der Bundestagswahl 2013. Die 800 Delegierten beschlossen die Einführung einer "verfassungsfesten, ergiebigen und umsetzbaren Vermögensteuer für Superreiche", wobei "selbstverständlich" darauf geachtet werden müsse, dass keine Arbeitsplätze verloren gingen.

Damit setzte sich ein Kompromiss-Antrag der Bundestags-Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt gegen mehrere alternative Anträge durch, von denen zwei eine deutlich schärfere Reichenbesteuerung gefordert hatten. Die Grünen wollen zudem das Ehegattensplitting abschaffen - aber nur noch für Neu-Ehen, nicht mehr auch für bestehende Ehen wie vor der Wahl 2013. Die Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren will die Öko-Partei ab 2030 verbieten. Die Braunkohle-Verstromung wollen sie 2025 beenden.

Die Grünen konnten damit einen mehr als zwei Jahre andauernden Streit zwischen Parteilinken und Realos vorerst beenden und die Auseinandersetzung über die Ausrichtung der Partei ein Jahr vor der Bundestagswahl entschärfen. Die Parteilinken triumphierten, weil sich der Parteitag für die Vermögensteuer entschieden hatte - statt "nur" für eine Erhöhung der Erbschaftsteuer. Zugleich knüpft der Antrag die Steuer aber an detaillierte Bedingungen, die die tatsächliche Umsetzung unwahrscheinlich machen. Offen blieb etwa, wer als "superreich" gelten soll. In früheren Beschlüssen hatten die Grünen bereits "Vermögensmillionäre" treffen wollen, jetzt könnte der Kreis der Betroffenen weit kleiner sein. Außerdem wollen die Grünen die Erbschaftsteuer erst wieder anpacken, wenn das Verfassungsgericht die gerade erst beschlossene Reform der Erbschaftsteuer für verfassungswidrig erklären sollte. Damit konnte dann auch der moderatere Realo-Flügel gut leben.

Das Thema Vermögensteuer stand stellvertretend für das Kräftemessen beider Flügel und für die Frage, mit welcher Präferenz die Grünen ins Wahljahr 2017 gehen: Streben sie ein rot-rot-grünes Bündnis an oder wollen sie in eine schwarz-grüne Regierung mit Angela Merkel (CDU) gehen?

Die Parteiführung dringt darauf, diese Frage bis nach der Bundestagswahl unbeantwortet zu lassen und den "Kurs der Eigenständigkeit" fortzusetzen. Doch je näher die Wahl rückt, desto selbstverständlicher outen sich jetzt die Anhänger von Rot-Rot-Grün und Schwarz-Grün. Mit der Entscheidung "zwar für die Vermögensteuer, aber nur unter Bedingungen" verschafften sich die Grünen eine Atempause im internen Richtungsstreit. Ein klarer Linksschwenk konnte verhindert werden.

Der Abstimmung in Münster ging eine kontroverse Debatte zwischen den beiden zerstrittenen Parteiflügeln voraus. Die prominentesten Protagonisten dieser Debatte: Baden-Württembergs pragmatischer Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Auf der anderen Seite stand Linken-Urgestein Jürgen Trittin, das einstige Gesicht der Grünen und früherer Bundesumweltminister.

Kretschmann warnte den Parteitag eindringlich vor der Festlegung auf die Vermögensteuer. In schlechteren konjunkturellen Zeiten würde die Steuer die Substanz des Mittelstandes gefährden, argumentierte er. Der Mittelstand sei die tragende Säule der Wirtschaft, die die Arbeitsplätze garantiere. Gerade in dieser unsicher gewordenen Zeit, in der der Rechtspopulismus sich "wie ein Virus" verbreite, dürfe diese Säule nicht geschwächt werden. "Wenn wir schon jetzt unter diesen noch guten Bedingungen 15 Prozent AfD haben, wird es mir angst und bange, was passieren wird, wenn die Arbeitslosigkeit wieder steigt", sagte er. Die Grünen dürften es "mit der political correctness nicht übertreiben", mahnte Kretschmann.

Gegenspieler Jürgen Trittin hatte fast den ganzen Saal sofort hinter sich. "Eine Welt, in der 67 Milliardäre so viel besitzen wie die Hälfte der Weltbevölkerung, ist nicht gerecht", rief er. "Deutschland ist eine Steueroase für Vermögen." Seit zehn Jahren würden deutsche Unternehmen im Schnitt 90 Prozent ihrer Gewinne entnehmen und nicht reinvestieren. Dieses Geld müsse besteuert werden, damit endlich mehr Geld in Schulen und Straßen investiert werden könne, sagte Trittin unter dem Jubel der Delegierten.

(mar)
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