Kretschmann erschüttert die Partei Grüne streiten über ihre Ausrichtung

Berlin · Nur wenige Parteifreunde unterstützen den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann nach seinem Ja zum Asylkompromiss im Bundesrat. Der frühere Fraktionschef Trittin möchte die Partei wieder stärker links verorten.

Für Jürgen Trittin bewegt sich in Deutschland schon lange nichts mehr. "Stillstand" hat er deshalb sein neues Buch genannt, das gestern auf den Markt gekommen ist. Schuld an diesem "Stillstand made in Germany", so behauptet der frühere Grünen-Fraktionschef, sei die Tatsache, dass sich die Bürger zwar mehrheitlich zu vermeintlich linken Themen wie dem Klimaschutz, der ökologischen Modernisierung oder mehr sozialer Gerechtigkeit bekennen würden, aber trotzdem lieber in der Mehrheit eher rechte Parteien wählten. Im Ergebnis drohte sich die große Koalition zu verfestigen und die Grünen dauerhaft zu einer Art "Luxus-Opposition" zu verkommen. Sein Buch stellte Trittin mit Sigmar Gabriel (SPD) vor - dem Vizekanzler, der die neue Grünen-Führung sonst gerne links liegen lässt. Beide kennen sich seit 2009.

Einer, der das zwar ebenso wie Trittin verhindern will, allerdings mit ganz anderen Mitteln, ist Winfried Kretschmann. Baden-Württembergs Ministerpräsident hat seine Partei nachhaltig erschüttert, weil er am Freitag im Bundesrat dem Bund-Länder-Asylkompromiss zustimmte. Eine Mehrheit der Grünen ist entsetzt darüber, weil der erzielte Kompromiss bedeuten wird, dass künftig Asylbewerber aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien, so genannten sicheren Herkunftsländern, schneller abgeschoben werden können. Betroffen davon werden vor allem Sinti und Roma sein.

Auch Trittin ist empört über diesen Schachzug Kretschmanns, er sagt es nur nicht öffentlich. Mit voller Wucht ist mit dieser einsamen Entscheidung des baden-württembergischen Regierungschefs die alte Kluft zwischen grünen Realo-Politikern wie Kretschmann und der überwiegend linken Parteibasis wieder sichtbar geworden. Auch wurde der Parteizentrale in Berlin schmerzlich bewusst, wo das eigentliche Machtzentrum der Grünen liegt: nicht mehr bei ihr, sondern in den sieben Ländern, in denen die Grünen mitregieren.

Kretschmann hat den Grünen also gleichsam in mehrfacher Hinsicht ins Herz gestochen. Inhaltlich, weil sich die Grünen stets lieber an der Seite der Flüchtlinge sehen und nicht an der einer Landesregierung, die den Flüchtlingsansturm verwalten und bewältigen muss. Parteipolitisch, weil die Entmachtung der Bundesgrünen durch Kretschmann so offensichtlich geworden ist.

Man konnte es am Aufschrei der früheren Parteichefin Claudia Roth erkennen, die Kretschmann am Freitag für einen "rabenschwarzen Tag" verantwortlich machte. Seine Entscheidung sei "nicht verantwortungsvoll, nicht in der Sache und nicht gegenüber der Partei". Assistiert wurde ihr vom früheren Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck, der Kretschmann unterstellte, das "Menschenrecht auf Asyl für einen Appel und ein Ei verdealt" zu haben.

Tatsächlich war es aber doch erheblich mehr als ein Apfel und ein Ei, was Kretschmann für sein Ja erhielt: Asylbewerber sollen bereits nach drei Monaten Aufenthalt arbeiten dürfen, nicht erst nach neun Monaten. Asylbewerber sollen sich bereits ab dem vierten Monat in Deutschland frei bewegen können, sie erhalten dann Geld- statt Sachleistungen. Zudem sollen Länder und Kommunen stärker finanziell vom Bund unterstützt werden.

Am Tag drei nach dem Beschluss hielten sich die Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter mit Kritik an Kretschmann auffallend zurück. "Ich halte die Entscheidung Baden-Württembergs in der Sache und auch taktisch für falsch. Doch die innerparteiliche Kritik an Herrn Kretschmann war teilweise maßlos. Persönliche Verleumdungen gehören sich nicht", sagte Außenpolitiker Omid Nouripour an die Adresse der Altvorderen Roth und Beck. Fraktionsvize Kerstin Andreae stellte sich vorsichtig hinter Kretschmann: "Mehr wäre sicher besser gewesen. Es sind aber keine Kleinigkeiten, die Kretschmann rausverhandelt hat." Grünen-Chef Cem Özdemir rief die Partei zu gegenseitigem Respekt auf. Inhaltliche Kritik auch in eigenen Reihen sei in Ordnung, doch müsse klar bleiben: "Alle kämpfen für die gemeinsame Sache."

Realo-Politiker Kretschmann hat mit seiner Entscheidung gezeigt, wo er die Erfolgschancen der Grünen sieht: In einer Vernunftspolitik, die auf Kompromisse mit der großen Koalition setzt. Doch die Linken in der Partei wollen diesem Kurs künftig weniger die Hand reichen. Trittin versteht sein Buch auch als Aufruf an die eigene Partei, sich wieder stärker auf linke Werte zu besinnen.

(mar)
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