Brüssel Gutachter rügt Vorratsdatenspeicherung

Brüssel · Der Europäische Gerichtshof solle die Datensammlung anpassen, fordert der Generalanwalt. Die EU gerät unter Druck.

Die umstrittene EU-Regelung zur verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung steht auf der Kippe. Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Pedro Cruz Villalón, hält die Brüsseler Richtlinie von 2006 für einen Verstoß gegen die EU-Charta der Grundrechte, die unter anderem den Schutz der Privatsphäre garantiert. Zudem sei die Speicherdauer von bis zu zwei Jahren unverhältnismäßig lang, heißt es in seinem gestern vorgelegten Rechtsgutachten. Cruz Villalón plädiert für eine Speicherung für weniger als ein Jahr.

Das endgültige EuGH-Urteil fällt zwar erst in ein paar Monaten. Meist folgen die Richter jedoch dem Generalanwalt. Damit steigt der Druck auf die EU-Kommission, die umstrittenen Regeln schnell zu reformieren. Der Gutachter empfiehlt dem Europäischen Gerichtshof, die beanstandete Richtlinie nicht direkt auszusetzen. Die EU-Kommission müsse aber "innerhalb einer angemessenen Frist" die bestehenden Regeln ändern.

Die EU-Richtlinie ist seit sieben Jahren in Kraft und muss in allen EU-Staaten umgesetzt werden. Sie verpflichtet die Telekommunikationsunternehmen, die Verbindungsdaten ihrer Kunden — also Daten von E-Mails, SMS, MMS und Telefongesprächen — mindestens sechs Monate und maximal zwei Jahre lang zu speichern, damit Ermittler zur Aufklärung schwerer Verbrechen darauf zugreifen können. Deutschland hat sich unter Schwarz-Gelb geweigert, die EU-Richtlinie umzusetzen, und so einen Dauer-Streit mit Brüssel verursacht. Vor allem die scheidende Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) stemmte sich gegen die verpflichtende verdachtsunabhängige Speicherung der Daten für mindestens sechs Monate. Die große Koalition will die EU-Regeln nun umsetzen — aber bei der anstehenden Reform für eine Speicherdauer von nur drei Monaten kämpfen. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, die Schlussfolgerungen des Generalanwalts stünden im Einklang mit den Plänen der Koalitionsvereinbarung.

Der scheidende Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar mahnte die neue Bundesregierung, zunächst das EuGH-Urteil abzuwarten. "Da wäre es doch fatal, die Vorratsdatenspeicherung national wieder einzuführen und dann festzustellen, dass das ganze Paket gegen europäische Grundrechte verstößt", sagte Schaar.

Der EuGH muss sich mit dem Thema befassen, weil ein irisches Unternehmen sowie die Kärntner Landesregierung und mehrere Tausend Österreicher dagegen geklagt haben. Sie argumentieren, dass die Speicherung unverhältnismäßig sei und die Grundrechte auf Privatsphäre, den Schutz persönlicher Daten und freie Meinungsäußerung verletze. Generalanwalt Cruz Villalón bestätigt diese Einschätzung. Die Datenspeicherung zeichne das Privatleben jedes Bürgers auf. "Es besteht ein erhöhtes Risiko, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten zu rechtswidrigen, potenziell die Privatsphäre verletzenden oder — allgemeiner — zu betrügerischen oder gar heimtückischen Zwecken verwendet werden", heißt es in seinem Gutachten. Denn die Datenspeicherung werde von Firmen vorgenommen und stehe nicht unter staatlicher Kontrolle. Außerdem sehe die Richtlinie nicht vor, dass die Daten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gespeichert werden müssten.

(RP)
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