Jerusalem Hamas feiert Lkw-Terroristen als Held

Jerusalem · Die Todesfahrt eines Palästinensers auf eine Gruppe Soldaten erschüttert Israel. Premier Netanjahu sieht Parallelen zu Nizza und Berlin.

Die neue Woche in der israelischen Hauptstadt beginnt mit dramatischen Bildern: An einer beliebten Promenade im Bezirk Armon Haniziv beschleunigt ein Lkw, als eine Menschengruppe gerade aus einem Autobus steigt. Der Attentäter rast auf sie zu, erfasst die Gruppe mit voller Wucht, fährt dann mehrmals vor und zurück, um möglichst viele Opfer in den Tod zu reißen, bevor er selbst erschossen wird. Sanitätern habe sich ein schrecklicher Anblick geboten, sagen Mitarbeiter des Rettungsdienstes Zaka. Einige der Opfer, auch Tote, waren unter dem Lastwagen eingeklemmt und mussten mit einem Kran befreit werden. Ein Zaka-Mitarbeiter sagte dem israelischen Fernsehen, es handele sich um "den schlimmsten Anschlag mit einem Fahrzeug, den wir in der letzten Zeit in Jerusalem gesehen haben".

Das Attentat erinnert an Nizza und Berlin, auch Israels Premier Benjamin Netanjahu sieht mögliche Parallelen: "Wir wissen, dass es hier eine Serie von Anschlägen gibt, und es kann durchaus sein, dass eine Verbindung zwischen ihnen besteht, erst Frankreich und Berlin, und jetzt Jerusalem", sagte Netanjahu gestern. Drei Soldatinnen und ein Soldat, alle Anfang 20, sind getötet worden, 17 weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Netanjahu verurteilte den Anschlag als "grausam und tragisch" und berief für den Abend eine Sondersitzung des Sicherheitskabinetts ein.

Auch Polizeichef Roni Alscheich sprach noch am Ort des Anschlags die Möglichkeit an, der Attentäter habe sich vom Lkw-Anschlag in Berlin vor drei Wochen inspirieren lassen. Laut Polizei agierte der palästinensische Terrorist aber eher spontan, als er die Soldaten sah. Im Gegensatz zum Attentäter von Berlin floh der Täter auch nicht, sondern hatte offenbar einkalkuliert, dass er den Anschlag selbst nicht überleben würde. Der Mann war den Sicherheitsdiensten bekannt. Ersten Informationen zufolge gehörte er der Hamas an und war mindestens einmal im Gefängnis. Nach Aussagen von Polizeichef Alscheich habe es dennoch keine Indizien für einen geplanten Anschlag gegeben. Die Polizei verhängte eine Nachrichtensperre über die Ermittlungen. Palästinensischen Informationen zufolge handelt es sich um den 28-jährigen Fadi Ahmad Hamdan Al Kunbar aus dem Ostjerusalemer Bezirk Dschabel Mukabir, der unmittelbar an Armon Haniziv angrenzt. Berichten des israelischen Hörfunks zufolge, durchsuchte die Polizei das Elternhaus Al Kunbars und verhaftete einen seiner Brüder.

Der Lkw-Anschlag ist seit Langem mit Abstand das schlimmste Attentat in der Stadt. Israel ist seit eineinhalb Jahren mit einer neuen Serie von zumeist mit Messern verübten Gewaltakten konfrontiert. Angefangen hatte die neue Terrorwelle mit einem Streit über Besuchsrechte für Juden und Muslime am Tempelberg. Israel hält die von muslimischen Extremisten über soziale Netzwerke verbreitete Hetze für mitverantwortlich. Nach einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP wurden 40 Israelis, zwei US-Bürger, ein Jordanier, ein Eritreer und ein Sudanese getötet. Zudem wurden 247 Palästinenser getötet, darunter mehrheitlich erwiesene oder mutmaßliche Angreifer.

Die radikal-islamistische Hamas spricht derweil von einem "heroischen und mutigen Lastwagen-Anschlag", der eine "natürliche Reaktion auf die Verbrechen der israelischen Besatzung" sei. Die islamistische Führung im Gazastreifen soll Süßigkeiten verteilt haben, um den Anschlag zu feiern. Nickolay Mladenow, UN-Sonderkoordinator für den Friedensprozess im Nahen Osten, beeilte sich mit einer Verurteilung des Anschlags und der Versuche, "derartige Taten zu glorifizieren". An Terror gäbe es "nichts Heroisches", heißt es in seiner Mitteilung.

(RP)
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