Hannelore Kraft beliebt wie Johannes Rau

analyse Die Forschungsgruppe Wahlen erklärt das Ergebnis.

Mannheim (RP) Was steckt hinter den nackten Zahlen des Wahlergebnisses? Die Forschungsgruppe Wahlen hat gestern mehr als 20 000 Bürger befragt. Ergebnis: Die SPD ist in fast allen Belangen überlegen, die CDU liegt auch bei ihren einstigen Kernkompetenzen hinten.

Der Kraft-Faktor Dass die SPD in Nordrhein-Westfalen so gut abschneidet, verdankt sie neben dem Wunsch, das rot-grüne Kabinett möge weiterarbeiten, dem hohen Parteiansehen, der Sachkompetenz und der Regierungsbilanz vor allem Hannelore Kraft, mit deren Arbeit 75 Prozent aller Befragten zufrieden sind. Die Ministerpräsidentin erreicht mit 2,3 auf der Skala von plus fünf bis minus fünf das Ansehensniveau des früheren Landesvaters Johannes Rau (1978–1998), was auch bei der Amtsinhaberin nun auf parteiübergreifender Reputation beruht. Letztendlich wollten 59 Prozent wieder Hannelore Kraft, aber nur 29 Prozent ihren Herausforderer Norbert Röttgen (CDU) an der Regierungsspitze.

Der Röttgen-Faktor Mit einem Imagewert von nur 0,5 hat Röttgen im Profilvergleich massive Defizite bei Sympathie, Bürgernähe sowie der politisch sehr wichtigen Glaubwürdigkeit. Das beruht mit auf seinem Kommunikations-Kardinalfehler, mit dem er in den Wahlkampf gestartet ist: Für 59 Prozent hat Röttgens Nichtfestlegung auf Nordrhein-Westfalen der CDU geschadet. Hinzu kommt das schwache Ansehen des CDU-Landesverbands, der mit 0,6 klar hinter der CDU-Bundespartei mit 1,2 rangiert. Die NRW-SPD andererseits spielt mit 1,9 in einer anderen Liga.

Wunschkoalition Rot-Grün Die Arbeit von SPD (1,4) und Grünen (0,9) wird im Landtag sichtbar besser bewertet als die von CDU (0,4), FDP (minus 1,0) oder Linke (minus 2,3). Das erklärt die Koalitionsvorlieben: Gut fänden die Bürger mehrheitlich nur Rot-Grün, also ein Bündnis der Parteien mit den besten Bilanzen, wogegen CDU-geführte Varianten klar abgelehnt werden.

CDU fällt zurück Exemplarisch für das neue Leistungsgefälle zwischen Sozial- und Christdemokraten sind die Parteikompetenzen: Nur beim Top-Thema Finanzen noch im Vorteil, verliert die CDU bei Wirtschaft und Jobs ihre einst sichere Führung, in den Politikfeldern Bildung, Familie oder Soziales ist sie gegenüber der SPD völlig chancenlos.

Die Aussichten der FDP Hinzu kommt eine FDP, deren Wähler zu rund einem Drittel politisch eigentlich der CDU näherstehen. Zudem profitieren die Liberalen kurzfristig von ihrem Spitzenkandidaten Lindner, der aber weit weniger Zugkraft als Wolfgang Kubicki eine Woche zuvor in Schleswig-Holstein entwickelt. Doch selbst wenn die FDP jetzt mehr wegen der Inhalte (64 Prozent) als wegen Lindner (33 Prozent) gewählt wird, bezweifeln 55 Prozent, dass es nach einem Erfolg in NRW "mit der FDP auch bundesweit wieder aufwärts geht".

Protestpartei Piraten 66 Prozent der Piraten-Wähler nennen die Unzufriedenheit mit anderen Parteien als Hauptmotiv (Inhalte: 31 Prozent). Umgekehrt sehr schwach ausgeprägt ist das Protestpotenzial bei den wirtschaftlich gut abgesicherten Wählern der Grünen, wobei sich die angebliche Konkurrenz zwischen beiden Parteien auch mit einem Blick auf die soziale Struktur relativiert: Mit viel Zuspruch von Männern, Jüngeren mit niedriger Bildung und Wählern ohne Job haben die Piraten andere Stärken als die Grünen, die wie gewohnt bei formal Hochgebildeten, Beamten oder Frauen erfolgreich sind.

Die Altersstruktur Der Wahlsieger SPD erzielt seine besten Ergebnisse bei den 45- bis 59-Jährigen mit 41 Prozent und bei den ab 60-jährigen Wählern mit 44 Prozent (plus sechs beziehungsweise fünf Prozentpunkte). Und während auch die FDP bei den ab 60-Jährigen auf starke zehn Prozent (plus fünf Punkte) zulegt, verliert die CDU in ihrer Kerngruppe zehn Prozentpunkte, liegt aber mit 34 Prozent noch über ihrem Schnitt. Bei den 45- bis 59-Jährigen fällt sie auf nur noch 22 Prozent und bei den 30- bis 44-Jährigen auf 23 Prozent; bei den 18- bis 29-Jährigen liegt die CDU (18 Prozent) fast auf dem Niveau von Grünen (16 Prozent) und Piraten (16 Prozent).

Strategische Lage In NRW hat Rot-Grün gezeigt, dass trotz verschärfter Konkurrenz durch die Piraten eine Mehrheit jenseits von Schwarz-Gelb möglich ist. Allerdings sagt das nordrhein-westfälische Ergebnis für 67 Prozent der Befragten "noch lange nichts darüber aus, wie die Bundestagswahl ausgeht" – und tatsächlich ist zurzeit völlig offen, ob sich Rot-Grün auch republikweit als selbstständiges Kraftfeld positionieren kann.

(RP)
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