Gesellschaftliches Phänomen Hass ohne Grenzen

Frankfurt · Ein neues Phänomen zeichnet sich in unserer Gesellschaft sichtbar und auch hörbar ab: Der Hass auf die vermeintlich anderen. Die Schamlosigkeit, mit der sich Hass inzwischen äußert, lässt eine Eskalation befürchten.

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Streng genommen, ist Hass nicht unmenschlich. Wahrscheinlich gehört der Hass zu uns wie auch die Liebe. Allerdings: Mit echtem Hass betreten wir den gefährlichen Grenzbereich unseres Verhaltens-Repertoires. Er ist oft das Ergebnis einer tiefen Zurücksetzung, manchmal auch einer lang andauernden Verletzung, die nie zur Sprache, zum Ausdruck kommen konnte und die sich schließlich in einer Haltung exekutiert, in der keine Sprache mehr möglich und für den Hassenden nötig ist.

Darum beschreibt Hass fast immer das Ende jeder Kommunikation; sein sprichwörtlich blindwütiges Ziel ist nämlich die Vernichtung des anderen, nicht nur dessen Degradierung. Das, was gehasst wird, soll aus der Welt geschafft werden.

Nichts entschuldigt den Hass

Wie immer auch die Motivlage oder die psychologische Grundlage ist, nichts entschuldigt den Hass - nicht den nur empfundenen, schon gar nicht den tätig werdenden. In seiner grundsätzlichen Ablehnung des anderen ist jeder Hass - auch in einer liberalen Gesellschaft - nicht hinnehmbar. In diesem Punkt, an dem jede Form der Empathie und Gesprächsbereitschaft ihr Ende findet, wandelt sich die offene Gesellschaft: Ihrer Toleranz werden Grenzen gesetzt durch jene, die nichts tolerieren.

Wieder so ein Modethema, das als originell bewertet und als imaginiertes Schreckgespenst in die Welt geschickt wird? Bedenklicherweise ist es mehr als das und zudem längst sichtbar geworden. Die beschämenden Vorkommnisse zuletzt in Dresden und im mittelsächsischen Clausnitz, wo ein Bus mit Flüchtlingen blockiert und die Mitfahrenden verbal massiv bedroht wurden, sind offenkundige Indizien dafür, dass es seit geraumer Zeit akzeptabel zu sein scheint, sich "politisch unkorrekt" zu verhalten. Dann drohen plötzlich aus verschiedenen Einzelerfahrungen Strukturen zu werden, in denen sich jene, die hassen, aufgehoben und bestärkt fühlen. Solche Strukturen heißen in ihrer noch diffusen Variante "Wutbürger" und in formierter Prägung auch "Reichsbürger".

Hass ist nicht mit Verboten aus der Welt zu schaffen

Weil der Hass streng politische Kriterien übersteigt und in ihm konkrete Verhaltensmuster sichtbar werden, sind die Ursachen eines neuen Hasses in Deutschland vielschichtiger und nicht so eindeutig aus der Welt zu schaffen, etwa mit einem Verbot dieser oder jener Gruppierung.

Eine, die genau hinschaut, ist die Publizistin Carolin Emcke, die am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem vielleicht wichtigsten Gesellschaftspreis hierzulande geehrt wird - dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Immer und immer wieder hat sich die 49-jährige Berlinerin das Video aus Clausnitz angeschaut und eine Art Psychogramm der Hassenden aus den Bildern kondensiert. Mit ihren Rufen "Wir sind das Volk" bedienten sie sich nicht nur einer bis dahin unbeschädigten Freiheitsformel der friedlichen Revolution von 1989. Nun wird ausgerechnet dieser Ruf gegen jede Unterdrückung zum probaten Mittel, Unfreiheit massiv auszuüben. Und schließlich beschreibt dieser Satz eine Art Definition, eine Deutungshoheit darüber, wer das Volk ist; vor allem: wer das Volk nicht ist. Und das waren in dieser Nacht des entfesselten Hasses jene Menschen im Bus, die aus ihrer eigenen Heimat auf der Suche nach Schutz und Obhut geflohen waren.

Plötzlich wird das Eindeutige auslegbar: "Wir sind das Volk" ist mit Blick auf die Flüchtlinge ein Kampfbegriff, eine kollektive Parole, mit der genau in diesem Augenblick eine Nation erfunden wird. Zu ihr gehören nach Meinung der Krakeeler die Bus-Blockierer. Und: Zu ihr gehören nicht die Businsassen. Dieses Bild vor Augen ist das Bild von Schwarz und Weiß, von vermeintlich Gut und vermeintlich Böse. Und es entlarvt einen Wesenszug des Hasses: das ist die scheinbare Gewissheit.

Emcke hat das in ihrem neuen Buch "Gegen den Hass" eine Art schamlose, auf jeden Fall beängstigende Gewissheit genannt. Jeder von uns weiß, dass in liberalen Gesellschaften solche Gewissheiten nicht zu holen sind. Der Herr über eine solche Wahrheit wird man darum nur, wenn man nicht allzu genau hinschaut, Wirklichkeiten ausblendet und seine Perspektive nur auf das richtet, was man auch sehen möchte. Wenn man also das weglässt, was moderne Gesellschaften erfordern und was als Prinzip von Erfahrungen und Erkenntnis verstanden wird - das Unterscheiden. Auf solche "Spielchen" aber lassen sich Hassende erst gar nicht ein. Denn wer zu differenzieren beginnt, gerät irgendwann in die für ihn missliche Lage, Unterschiede tatsächlich wahrzunehmen. Und wer Unterschiede registriert, könnte den Grund seines Hasses plötzlich verlieren.

Hass und Ignoranz gehören zusammen

Darum ist Hass umso haltbarer, je ignoranter sich der Hassende gegenüber der natürlichen Ambivalenz unserer Welt verhält. Seine Weltsicht beschwört das Homogene, das Einheitliche. Auch das Einheitliche derer, die er verachtet. Es gibt in diesem verengten Blick keine Individuen, sondern nur noch Stellvertreter von Gruppen, die man in Gänze verachten kann. Das sind dann "die" Muslime, "die" Flüchtlinge, die "Homosexuellen" - wobei sich zur zuletzt genannten Gruppe auch Emcke selbst zählt.

Der Hass hat eine kleine Schwester, die unscheinbarer ist: die Sorge. Auch von besorgten Bürgern ist dieser Tage viel die Rede. Das klingt zunächst nicht schlimm. Das Gefährliche an der Sorge aber ist nach den Worten Emckes, dass sie sich tatsächlich einer Lösung des Problems in den Weg stellt, indem sie nur vorgibt, nach einer zu suchen. Die Sorge wird zum Selbstzweck, die gepflegt wird und sich aufbauschen kann zu einer plötzlich existenziellen Problemlage. Die Sorge ummantelt den Hass, und sie wird befeuert durch die sozialen Medien, in denen nichts entkräftet, sondern alles verstärkt wird. Die Sorge und mit ihr der Hass werden auf eine Weise dynamisiert, die am Ende aus der offenen und liberalen Gesellschaft eine hysterische und bedrohlich hassende macht.

(los)
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