Analyse Was ist Mord? Was ist Totschlag?

Düsseldorf · Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will eine Reform des Strafgesetzbuches bei den Tötungsdelikten. Unterstützt wird er dabei unter anderem von seinem Parteifreund, NRW-Justizminister Thomas Kutschaty

Rückblende: Am Abend des 11. Dezember 2013 wird Daniel D. an einer Landstraße in Kaarst-Büttgen erschlagen neben seinem Auto aufgefunden. Der Cousin des Opfers, Ulf G., gerät ins Visier der Ermittler. Das Urteil gegen ihn fällt Mitte August vor dem Düsseldorfer Landgericht: Die Richter entscheiden auf Totschlag. Die Eltern des Erschlagenen sind sich jedoch sicher, dass ihr Sohn ermordet wurde. Im Prozess gegen ihren Neffen treten sie als Nebenkläger auf und machen von ihrem Recht auf Revision Gebrauch. Daher wird der Bundesgerichtshof (BGH) nun irgendwann klären müssen, ob eine vorsätzliche Tötung vorliegt, oder ob doch eines oder mehrere der qualifizierenden Tatbestandsmerkmale erfüllt wurden, die einen Totschlag (§ 212 Strafgesetzbuch) zum Mord (§ 211) werden lassen.

Einflussreiche Strafrechts-Experten, darunter der renommierte Düsseldorfer Anwalt Rüdiger Deckers oder BGH-Richter Thomas Fischer, die eine radikale Reform der Gesetzgebung befürworten. Im "Spiegel" wurde Deckers so zitiert: "Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich Tötungen qualitativ steigern lassen. Am Ende haben alle Fälle nur eines gemeinsam: Ein Mensch wurde umgebracht. Schlimmer geht es doch nicht."

Zurück zum Verbrechen in Kaarst-Büttgen: Ulf G. wurde wegen Totschlags mit zehn Jahren Freiheitsentzug bestraft. Das Gericht befand, es sei keines der mordtypischen qualifizierenden Tatbestandsmerkmale, zum Beispiel Heimtücke, nachweisbar. Das lag auch daran, dass der offenbar gut verteidigte Angeklagte zwar am letzten Prozesstag seine Täterschaft gestanden, aber kein Wort zu seinem Tatmotiv oder zum Tathergang preisgegeben hat. Hätte er bei den polizeilichen Vernehmungen oder später im Prozess angedeutet, dass sein Cousin sterben musste, weil er von möglichen Straftaten des G. wusste, wäre unter Umständen ein Mordmerkmal erfüllt gewesen ("Tötung, um eine andere Straftat zu verdecken"). Dann hätte das Gericht auf "lebenslange" Freiheitsstrafe befunden. Sie ist bei Mord grundsätzlich zwingend. Hier setzt auch die Kritik der Reformwilligen ein. Selbst in Fällen von Tötungen mit Mord-Merkmalen können besondere Milderungsgründe gemäß § 49 Absatz 1 Satz 1 gegeben sein, die ein Gericht von "lebenslang" absehen lassen.

So ist es geschehen in einem Fall, in dem ein alter, überforderter Ehemann seine schwer pflegebedürftige Frau in völlig verzweifelter Lage mit einem Kissen erstickt hatte. Zwar lag hier eine heimtückische Tötung, also ein Mord vor, weil der Ehemann die "Arg- und Wehrlosigkeit" des Opfers ausgenutzt hatte. Aber die für einen Mörder typische niedrige Gesinnung war nach Auffassung des Gerichts eben nicht gegeben. Der "Mörder" wurde zu drei Jahren Haft verurteilt.

Das Thema Mord und Totschlag beschäftigt heute auch den Rechtsausschuss des Landtags. Vor allem NRW-Justizminister Thomas Kutschaty und der zuständige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) drängen auf Überarbeitung der Bestimmungen. "Die Tötungsdelikte gelten als Dauerproblem der Strafrechtsgeschichte", so der SPD-Politiker in einer Stellungnahme für den Ausschuss. Eine Reform sei "angesichts der schweren historischen Belastung der Tatbestände und der praktischen Schwierigkeiten ihrer Anwendung längst überfällig". Tatsächlich wurde der Mord-Paragraf 1941 in der NS-Zeit eingeführt. Kutschaty meint ebenso wie Maas: "Der Mordparagraf beschreibt einen Menschentypus, der aufgrund von moralisch aufgeladenen Gesinnungsmerkmalen wie dem der niedrigen Beweggründe ein Mörder ist." Diese täterbezogene Betrachtungsweise entspringe dem Gedankengut des Nationalsozialismus. Auf den gefürchteten Präsidenten des NS-Volksgerichtshofs, Roland Freisler, gingen die Struktur des Paragrafen 211 des Strafgesetzgbuches (StGB) und auch das Tatbestandsmerkmal der niedrigen Beweggründe zurück. Nach der Auffassung von Nazi-Juristen habe die Aufgabe des Richters im Verfahren nur darin bestanden, zu bestimmen, welcher Tätertyp "den Strang verdient". Kutschaty: "Schon allein daraus folgt der Reformbedarf."

Allerdings stellt der NRW-Minister, ein Anwalt, klar, dass es bei dem Reformvorhaben nicht darum gehe, den Tatbestand des Mordes aufzuweichen: "Mord muss auch in Zukunft mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft werden." Allerdings werfe die Anwendung des § 211 rechtliche Probleme auf. Neben der Handhabung des reichlich unbestimmten Mordmerkmals "aus niedrigen Beweggründen" nennt Kutschaty auch die sogenannten Haustyrannenfälle. Hierbei geht es darum, dass beispielsweise eine Frau ihren Mann umbringt, von dem sie jahrelang gedemütigt und gequält worden ist. Ist sie wirklich als Mörderin zu bestrafen, wenn sie ihrem Peiniger Gift ins Essen mischte, also "heimtückisch" zu Werke ging? Nach Meinung von Kutschaty und Maas hat die Rechtsprechung zwar Strategien entwickelt, um verantwortungsvoll mit dem Paragrafen aus der NS-Zeit umzugehen. Um zu gerechten Urteilen zu kommen, habe die Justiz in Einzelfällen auf Milderungsgründe (Paragraf 49 StGB) zurückgegriffen, die für Mord grundsätzlich nicht vorgesehen seien.

Bundesjustizminister Heiko Maas hat bereits im Mai eine Expertenkommission "Überarbeitung der Tötungsdelikte" eingesetzt. Deren Ergebnisse und Vorschläge müssen laut Kutschaty zu gegebener Zeit gründlich geprüft werden. Da das Vorhaben allerdings nicht Bestandteil des Koalitionsvertrages von CDU/CSU und SPD ist, dürfte sich der Bundesjustizminister schwer damit tun, eine in Jahrzehnten gewachsene Rechtspraxis grundlegend zu ändern, die im Übrigen nicht Deutschland-typisch ist. Auch das schweizerische Strafrecht unterscheidet zwischen Totschlag und Mord.

(RP)
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