Berlin Hessen als Testlauf für Schwarz-Grün im Bund

Berlin · Die CDU in Hessen bietet den Grünen Koalitionsverhandlungen an. Damit eröffnet sich für beide eine neue Machtoption.

Ein letztes Vieraugen-Gespräch zwischen dem CDU-Regierungschef und dem grünen Newcomer. Dann war die Sache klar. Erstmals wollen CDU und Grüne in einem deutschen Flächenstaat eine Koalition bilden. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), ausgerechnet ein Schüler und einstiger Vertrauter des CDU-Hardliners Roland Koch, will den Gremien heute in Wiesbaden die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den Grünen anbieten. In den letzten Gesprächen mit Grünen-Chef Tarek Al-Wazir sei man sich "deutlich nähergekommen", heißt es in der hessischen CDU.

Hessen ist schon einmal das Labor für neue Mischungen gewesen. Jahrzehntelang hatte es nur schwarz-gelbe, schwarz-rote und rot-gelbe Regierungen in Deutschland gegeben. Bis SPD-Ministerpräsident Holger Börner das bis dahin Undenkbare wagte: eine rot-grüne Koalition. Das war 1985, und bei seiner Vereidigung als Vize-Regierungschef tat Joschka Fischer allen Skeptikern den Gefallen, in Turnschuhen in die Regierungsverantwortung zu latschen. Zwei Jahre später war das Experiment bereits gescheitert, das Bündnis zerbrach.

Trotzdem war weitere elf Jahre später das Eis auch auf Bundesebene gebrochen, Fischer Vizekanzler der ersten rot-grünen Bundesregierung. Wiederholt sich jetzt die Geschichte mit Schwarz-Grün? Börner hatte an der Absurdität einer rot-grünen Perspektive zuvor keine Zweifel gelassen. Bei Protesten gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens bedauerte er ausdrücklich, Krawallmachern "nicht selbst eins auf die Fresse hauen" zu dürfen. Früher hätte man das beim Bau "mit der Dachlatte erledigt". Und doch bildete er danach mit den Flughafengegnern eine Regierung.

Das Hindernis verbal aufgeblasener Gegnerschaft müssen CDU und Grüne knapp drei Jahrzehnte später nicht einmal überwinden. Zwar ist auch dieses Mal der Flughafen das größte Problem auf dem Weg zu einem Bündnis. Doch einen Korridor für eine mögliche Verständigung haben Bouffier und Al-Wazir bereits bei den Sondierungsgesprächen gefunden: Der Lärmschutz soll ausgebaut werden, das neue Terminal kommt wohl trotzdem. Auch Grünen-Wähler erkennen die Bedeutung des Flughafens für die hessische Wirtschaft an. Und CDU-Wähler zeigen sich zunehmend geplagt vom Fluglärm und erwarten von ihrer Partei, dass es leiser wird.

Aufhorchen ließ Al-Wazir bereits bei den Sondierungen, als er die Distanz in den Positionen zum Streitthema Flughafen zwischen Grünen und CDU einerseits sowie Grünen und SPD andererseits als gleich groß definierte. Alte Floskeln von den "größeren natürlichen Schnittmengen zwischen SPD und Grünen" waren damit Geschichte.

Allerdings hat Al-Wazir auch seine persönliche Geschichte im Verhältnis zur CDU aufzuarbeiten gehabt. Er war gerade vier Jahre Abgeordneter im Landtag, als der damalige CDU-Spitzenkandidat Roland Koch mit einem Stimmungswahlkampf gegen die rot-grüne Zuwanderungspolitik (doppelte Staatsbürgerschaft) 1999 den Wahlsieg in Hessen errang — diese Stimmung richtete sich gegen Al-Wazir persönlich. Er gehörte als Sohn einer deutschen Mutter und eines jemenitischen Vaters zu den wenigen Hessen mit zwei Pässen.

Hessen als Testlabor für neue Farbmischungen ist von besonderem Reiz, weil kaum ein Landesverband bei der CDU traditionell rechter und kaum ein Landesverband bei den Grünen linker war. Doch beide haben sich gewandelt. Die Zeiten eines konservativ-polarisierenden Alfred Dregger, "natürliches Feindbild" eines jugendlichen Al-Wazir, sind lange vorbei, wiewohl die Hessen-CDU ihre Parteizentrale inzwischen nach dem langjährigen Landesvorsitzenden benannt hat. Bundesvize Volker Bouffier gilt zwar als Stimme der Konservativen an der Parteispitze, doch zu dem "Berliner Kreis" der CDU-Konservativen um Hessens Fraktionschef Christean Wagner behielt er ein distanziertes Verhältnis. Im persönlichen Umgang ist Bouffier außerdem warmherzig und humorvoll. Jedenfalls kein konservativer Knochen.

Zudem hat Bouffier aus den Fehlern von Länderkollegen gelernt. Mehr als einmal haben sich die baden-württembergischen Christdemokraten schon gefragt, ob sie nicht doch noch regieren könnten, wenn sie den Grünen Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert hätten, statt mit einem schroff-konservativen Stefan Mappus eine knallharte Anti-Grünen-Kampagne zu fahren.

Freundlichkeiten legten umgekehrt die Bundes-Grünen auf den Tisch, als sie nach der Bundestagswahl erstmals in Sondierungen mit der Union eintraten. So bescheinigten sie als Willkommensgruß, dass die erste schwarz-grüne Landesregierung in Hamburg nicht an Inhalten, sondern nur am Abtritt von Regierungschef Ole von Beust gescheitert sei. Das bestätigt die Erfahrung vieler Koalitionäre, dass letztlich nicht Themen die Zusammenarbeit verhindern, sondern das Miteinander der Personen. Sooft Bouffier und Al-Wazir nach den Sondierungen in Hessen vor die Kameras traten, belegte die Körpersprache, dass mit jedem besprochenen Thema auch das Grundvertrauen zueinander wuchs. Koch hatte seinen letzten Wahlkampf noch gegen "Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten" geführt, Bouffier dagegen bereits vor der Wahl Sympathien für grüne Ideen erkennen lassen.

Merkel persönlich soll Bouffier grünes Licht für das Experiment gegeben haben Sollte es am Ende des SPD-Mitgliederentscheids noch zu einem Aus für die große Koalition kommen, würden Union und Grüne auch im Bund die Sondierungen umgehend wieder aufnehmen.

(brö, may-)
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