Hildegard Hamm-Brücher war die "Grande Dame" der Republik

In der streitbaren Politikerin spiegelten sich der Aufbruch aus dunklen Zeiten und der Aufstieg selbstbewusster Frauen. Ein Nachruf.

In Schubladen hat sich diese Persönlichkeit nie wohl gefühlt. "Ich bin immer gegen den Strom geschwommen, wollte aber trotzdem hübsch dabei aussehen", sagte Hildegard Hamm-Brücher vor vier Jahren dem Magazin der "Süddeutschen Zeitung". Konsequente Haltung, konsequentes Handeln: Das war ihr Ding. So, als sie nach 54 Jahren 2002 aus der FDP austrat, aus der Partei, die ihr so viel bedeutete, die sie so weit gebracht hatte. Aber die pro-arabischen, anti-israelischen Eskapaden des damaligen FDP-Landeschefs Jürgen Möllemann ertrug sie nicht länger.

Sie hatte als junges Mädchen nach dem frühen Tod ihrer Eltern erleben müssen, wie ihre Oma sich das Leben nahm, weil sie nach den Nazi-Gesetzen als Jüdin galt, obwohl sie längst konvertiert war und ihre Enkel streng evangelisch erzog. Sie hatte in München im Umfeld der Widerstandsbewegung "Weiße Rose" gelebt. Die Hinrichtungen der Studenten und der Freitod der Oma vor der Deportation ins KZ prägten Hildegard Brücher.

Konsequenz im Privaten: Als die "aufmüpfige" evangelische FDP-Kommunalpolitikerin und der nicht geschiedene, katholische CSU-Politiker Erwin Hamm sich im Münchner Stadtrat kennen- und lieben lernten und Brücher schwanger wurde, standen alle Konventionen der 50er Jahre gegen sie. Sie aber war "wild entschlossen, dieses Kind zu bekommen". Erst im folgenden Jahr konnten sie heiraten und danach gemeinsam für ein sozialeres und frauenfreundlicheres München eintreten. Die Ehe hielt 52 Jahre, bis zum Tod ihres Mannes im Jahr 2008. Ihr Erfolgsgeheimnis: Von Anfang an gegen die tradierten Rollen-Erwartungen leben - "Papa kommt von der Arbeit nach Hause und kriegt erst die Hauspantoffeln, dann das Essen vorgesetzt - das ist tödlich für eine Ehe", schilderte sie.

Sohn und Tochter waren oft allein, während sich ihre Mutter politisch engagierte. Vom Stadtrat in den Landtag, in den Bundestag, Staatssekretärin im Bildungsministerium, Staatsministerin im Auswärtigen Amt von 1976 bis 1982. Mit gewissem Stolz berichtete sie, was ihre Tochter bei einem Kindergeburtstag auf die Frage antwortete, von wem sie denn erzogen werde, wenn die Mutter unterwegs sei: "Bei uns zu Hause wird nicht erzogen."

Und bei Hamm-Brücher wurde auch nicht schnell aufgegeben. 1982 nicht, als sie ihre Partei dazu bringen wollte, Schmidt nicht per Konstruktivem Misstrauensvotum zu stürzen. Und 1994 nicht, als sie als Bundespräsidentin kandidierte und erst nach einem Votum der Fraktion im dritten Wahlgang Platz machte für Roman Herzog.

Hildegard Hamm-Brücher nahm sich vor, ihr Ende "gelassen" anzugehen. Als "fröhliche Christin" ist sie im Alter von 95 Jahren gestorben. Man nannte sie die "Grande Dame" der FDP. Sie war mehr als das: die "Grande Dame" der Republik.

(RP)
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