London Höchstes Gericht bringt Brexit-Plan ins Wanken

London · Die britische Premierministerin May kann den Austritt aus der EU nicht im Alleingang durchziehen. Das Parlament muss zustimmen.

Es war eine Ohrfeige für Premierministerin Theresa May. Mit der deutlichen Mehrheit von acht zu drei Richterstimmen entschied das höchste Gericht des Landes gegen die Regierung. Der Supreme Court in London gestand dem Parlament ein Mitspracherecht beim Brexit zu. Erst wenn die Volksvertreter die Regierung durch ein Gesetz dazu autorisieren, darf die Premierministerin den Artikel 50 des Lissaboner Vertrages anwenden und damit die zweijährigen Brexit-Verhandlungen einleiten.

Einen Teilsieg allerdings konnte die Regierung erringen: Die Regionalregierungen in Nordirland, Wales und Schottland müssen nicht konsultiert werden. Es wäre in der Tat ein ernstes Problem für Theresa May geworden, hätte sie die Zustimmung für ihren Brexit-Kurs aus Edinburgh, Cardiff und Belfast einholen müssen. Denn May will den harten Schnitt, den britischen Ausstieg aus Binnenmarkt und Zollunion, während die drei anderen Nationen des Vereinigten Königreichs auf den uneingeschränkten Zugang zum Binnenmarkt pochen.

Der Brexit-Minister David Davis erklärte im Unterhaus, dass das Urteil "nichts damit zu tun hat, ob wir die EU verlassen oder nicht". Die Entscheidung darüber sei unwiderruflich. Die Regierung werde, kündigte Davis an, in den nächsten Tagen ein einfaches und geradliniges Gesetz einbringen, das sie zum Auslösen von Artikel 50 befugt. Er vertraue darauf, sagte Davis, dass die Abgeordneten es nicht "als ein Vehikel benutzen, um den Willen des Volkes zu vereiteln".

Keir Starmer, Brexit-Sprecher für die größte Oppositionspartei Labour, begrüßte den Spruch des Surpreme Court: "Dies ist ein guter Tag für die parlamentarische Souveränität." Die Regierung müsse die Entscheidung des Gerichts respektieren, indem es dem Unterhaus das Recht einräumt, die Brexit-Pläne umfassend zu prüfen. Starmer verlangte die Veröffentlichung eines Brexit-Weißbuchs, was Davis allerdings zurückwies: Die Premierministerin, sagte er, habe erst vor Wochenfrist eine Rede gehalten und in großer Klarheit ihre Brexit-Pläne dargelegt.

Die Opposition ist in ihrer Haltung zum Brexit gespalten. Die schottischen Nationalisten von der SNP wie auch die Liberaldemokraten lehnen den EU-Austritt grundsätzlich ab und streben ein zweites Referendum an. Labour-Chef Jeremy Corbyn dagegen erklärte, dass man die Referendumsentscheidung respektiere und daher "den Prozess, Artikel 50 anzurufen, nicht frustrieren werde". Allerdings will Labour verschiedene Änderungsanträge für das Artikel-50-Gesetz einbringen, um unter anderem Arbeitnehmerrechte zu erhalten und einen zollfreien Zugang zum Binnenmarkt sicherzustellen.

Das zu erwartende Gesetz wird voraussichtlich keine Schwierigkeiten haben, durch das Unterhaus zu gelangen, denn hier hat die Regierung eine sichere Mehrheit. Im Oberhaus liegen die Dinge allerdings anders. Die Lords in der zweiten Kammer sind mehrheitlich gegen einen harten Brexit und dürften ebenfalls durch Änderungsanträge der Regierung das Leben schwermachen. Sollte das Oberhaus gegen das Gesetz stimmen, würde es zurück ans Unterhaus gehen, und ein Ping-Pong-Spiel begänne. Letztlich können auch die Lords nicht verhindern, was die gewählten Volksvertreter beschließen, aber verzögern könnten sie es allemal. Der Terminplan von Theresa May, die den Startschuss für die Brexit-Verhandlungen spätestens Ende März geben will, kann daher trotz der vollmundigen Versicherungen ins Wanken kommen.

Mit seinem Urteil hat der Surpreme Court den Spruch des High Court bestätigt, der im November ergangen war. May hatte damals Einspruch eingelegt, obwohl ihr Rechtsexperten davon abgeraten hatten. Daraufhin saß das höchste Gericht des Landes erstmals in Vollbesetzung: Sämtliche elf Richter wurden bestellt, um in dem in der Öffentlichkeit sehr umstrittenen Fall zu urteilen. Man wollte dem Verdacht zuvorkommen, dass für diese Anhörungen nur europafreundliche Richter ausgewählt würden.

Denn die Reaktion auf die Entscheidung des High Court war erschreckend gewesen. Brexit-Befürworter waren empört, dass das Gericht scheinbar den Referendums-Ausgang umkehren wollte, und machten ihrer Wut Luft. Das Massenblatt "Daily Mail" erklärte die Richter zu "Feinden des Volkes". Die Klägerin Gina Miller, die den Sieg gegen die Regierung errungen hatte, erhielt Vergewaltigungs- und Morddrohungen.

(RP)
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