Interview mit Axel Reimann "Ein höheres Rentenalter ist kein Tabu"

Berlin · Der Rentenversicherungs-Chef fordert im Gespräch mit unserer Redaktion eine Reform, um die gesetzliche Rente für Jüngere von 2030 an dauerhaft zu sichern.

Interview mit Axel Reimann: "Ein höheres Rentenalter ist kein Tabu"
Foto: dpa, Weber

Für Axel Reimann werden die letzten Monate im Amt noch einmal richtig spannend: Der Präsident der Rentenversicherung, der Ende des Jahres mit 65 Jahren und fünf Monaten selbst in den Ruhestand geht, ist beim "Rentendialog" von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gefragt wie kaum ein anderer Experte. Am Sonntag berät Nahles mit Reimann, den Sozialpartnern und Fachleuten darüber, was getan werden muss, um die Rente auch für Jüngere dauerhaft zu sichern.

Die Arbeitsministerin hat eine erste Prognose für die Zeit ab 2030 vorgelegt. Das Rentenniveau, der Anteil der Rente am Durchschnittslohn, droht demnach bis 2045 auf 41,6 Prozent zu sinken. Ist das gegenüber den künftigen Generationen gerecht?

Reimann Wie in der Vergangenheit müssen wir eine Antwort darauf finden, wie wir die Belastungen, die sich aus der demografischen Entwicklung unweigerlich ergeben, auf die Generationen und auf die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen verteilen. Hierzu brauchen wir eine auf Dauer tragfähige Verständigung in Politik und Gesellschaft. Auf dieser Grundlage sollte dann in absehbarer Zeit der rechtliche Rahmen entsprechend angepasst werden. Frühere Reformen haben gezeigt, dass wir damit unser Alterssicherungssystem zielgerichtet angepasst haben. Ich erinnere nur an die Prognosen Ende der 80er Jahre, wonach der Beitragssatz allein in der Rentenversicherung bis 2030 auf über 40 Prozent gestiegen wäre. Dank der vergangenen Rentenreformen wird er nach den Vorausberechnungen 2030 aber 22 Prozent nicht übersteigen.

Brauchen wir eine "Haltelinie", wie Arbeitsministerin Nahles es genannt hat, eine Untergrenze beim Rentenniveau auch für die Zeit nach 2030?

Reimann Bisher haben wir Leitplanken für die Zeit bis 2030. Auch für die Zeit danach brauchen wir solche Leitplanken sowohl für das Rentenniveau als auch für den Beitragssatz. Das ist aus meiner Sicht wichtig, damit in der Gesellschaft die Akzeptanz für die gesetzliche Rente auch auf lange Sicht bestehen bleibt.

Muss das Renteneintrittsalter ab 2030 weiter steigen, damit wir das System stabilisieren können?

Reimann Zu den Stellschrauben, über die zu diskutieren sein wird, gehört neben dem Rentenniveau, dem Beitragssatz und dem Bundeszuschuss aus Steuermitteln sicher auch das Renteneintrittsalter. Man muss schauen, ob das Renteneintrittsalter - wie jetzt in der Phase bis 2031 - auch danach weiter angehoben werden muss. Schließlich steigen auch die Lebenserwartung und damit die zu erwartenden Rentenbezugszeiten. Das sollte man aber erst entscheiden, wenn eine einigermaßen verlässliche Einschätzung zur weiteren Entwicklung der Rahmenbedingungen vorliegt. In jedem Fall sollte alles dafür getan werden, die Beschäftigung auf einem hohen Stand zu halten.

Die Erhöhung der Mütterrenten und die Einführung der Rente mit 63 Jahren - waren das aus heutiger Sicht zwei Fehler der großen Koalition?

Reimann Man muss sehen, dass durch die Mütterrente und die Rente mit 63 die finanziellen Spielräume der Rentenversicherung für die Zukunft eingeengt wurden. Schon heute müssen wir auf unsere Rücklage zurückgreifen, die 2021 ihre gesetzliche Untergrenze erreichen wird, mit der Folge, dass dann der Beitragssatz angehoben werden muss. Wir fordern deshalb weiterhin, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die verbesserte Anrechnung von Kindererziehungszeiten aus Steuermitteln und nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden.

Jetzt will die CSU die Mütterrenten noch weiter erhöhen. Ist das drin?

Reimann Das würde bedeuten, dass wir im Jahr zusätzlich rund 6,5 Milliarden Euro finanzieren müssten. Angesichts der weiteren Herausforderungen durch die demografische Entwicklung glaube ich nicht, dass das gegenwärtig der richtige Ansatz wäre.

Welche Rendite wirft die gesetzliche Rente in diesen Zeiten niedriger Zinsen eigentlich rechnerisch ab?

Reimann Die Rendite der Rentenversicherung wird nach unseren Vorausberechnungen auch künftig bei zwei bis drei Prozent liegen. Das ist angesichts der Niedrigzins-Situation eine stabile Größe, die es wirklich wert ist, der Rentenversicherung weiterhin Vertrauen entgegenzubringen. Die gesetzliche Rente ist einfach aufgrund ihrer umfassenden Absicherungsfunktion für große Teile der Bevölkerung ein so wichtiger gesamtgesellschaftlicher Faktor, dass alles darangesetzt werden muss, sie in dieser Funktion dauerhaft zu erhalten.

Wir werden es dennoch mit zunehmender Altersarmut in den kommenden Jahrzehnten zu tun haben. Welche Gruppen werden davon besonders betroffen sein?

Reimann Selbstständige, insbesondere die Solo-Selbstständigen mit niedrigen Einkommen, Niedrigeinkommensbezieher, Langzeitarbeitslose und Erwerbsminderungsrentner sind besonders von Altersarmut bedroht. Für diese Gruppen wird man gezielt etwas tun müssen. Für die Erwerbsgeminderten hat es bereits eine spürbare Verbesserung der Leistungen mit dem letzten Rentenpaket gegeben. Hier sollte geprüft werden, ob die bisherigen Verbesserungen ausreichen.

Brauchen wir eine obligatorische Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung, die keine andere Absicherung haben?

Reimann Eine Versicherungspflicht für Selbstständige, die nicht in einem anderen System versichert sind, ist überfällig. Denn es gibt leider viel zu viele, die keine oder nur eine sehr geringe Altersabsicherung haben. Da sich innerhalb einer Erwerbsbiografie die Zeiten der abhängigen Beschäftigung und der Selbstständigkeit ohnehin immer stärker abwechseln, spricht vieles dafür, die nicht abgesicherten Selbstständigen obligatorisch in der gesetzlichen Rentenversicherung zu versichern.

Birgit Marschall führte das Gespräch.

(RP)
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