Urteil: einmal Lebenslang/ Zwei mal Neun Jahre Hohe Haftstrafen für Mord an Mosambikaner

Halle (dpa). Bis zum Schluss zeigten sie keine Reue: Wegen gemeinschaftlichen Mordes an dem 39-jährigen Mosambikaner Alberto Adriano sind der Skinhead Enrico Hilprecht zu lebenslanger Haft und zwei 16-jährige Skinheads zu jeweils neun Jahren Jugendstrafe verurteilt worden. Aus niedrigen Beweggründen und Ausländerhass hatten sie den dreifachen Familienvater zu Pfingsten im Stadtpark von Dessau zu Tode geprügelt.

Die Tat sei ein Ausdruck einer dem Staat und seinen Wertvorstellungen grundfeindlichen Haltung gewesen, hieß es am Mittwochnachmittag in Halle in der Urteilsbegründung.

In seiner 45 Minuten dauernden und sehr eindrucksvollen Urteilsbegründung verwies der Vorsitzende Richter des 1. Strafsenates des Oberlandesgerichtes Naumburg Albrecht Hennig auf die Bedrohung für Ausländer in Deutschland durch den Rechtsextremismus. Seit 1990 seien 28 Menschen bei rechtsextremistischen Gewalttaten getötet worden.

Alberto Adriano sei das jüngste Opfer einer Kette von Gewalt gewesen. Dieser rechtsextremen Gewalt müsse ein Ende gesetzt werden, sagte der Richter. Rassistische Arroganz und rechtsextreme Überfälle könnten jeden treffen - "den Botschafter aus Uganda oder die Literaturpreisträgerin", warnte der Richter. Die Gefahr für Ausländer sei im Osten Deutschlands erheblich höher als im Westen. Die Justiz allein könne aber die Gefahren durch den Rechtsextremismus nicht bekämpfen. Dazu sei die gesamte Gesellschaft und Zivicourage gefordert.

Witwe blieb der Urteilsveerkündung fern

Regungslos und teilweise mit eiskaltem Blick nahmen die beiden 16­jährigen Neonazis aus Wolfen und ihr 24-jähriger rechtsextremer Gesinnungsgenosse aus Bad Liebenwerda den Richterspruch auf. Unbeirrt von dem Großaufgebot an Fotografen, Kamerateams und Reportern aus dem In- und Ausland starrten sie in dem Verhandlungssaal vor sich hin. Einer der beiden, ein Schulabgänger mit angedeutetem Hitler-Schnauzer und fast kahl geschorenem Kopf, gilt trotz seiner schmächtigen Statur selbst in Kreisen rechter Jugendlicher als Schläger und gefährlich.

Bei ihrem Überfall hatten sie den Afrikaner, der als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen und seit den 80er Jahren auf deutschem Boden heimisch war, mit Schlägen und Tritten mit ihren Springerstiefeln bis zur Bewusstlosigkeit traktiert. Außerdem entwürdigten sie ihr Opfer, in dem sie es auszogen und seine Kleidungsstücke ins Gebüsch hängten.

Die 43-jährige Witwe und Nebenklägerin Angelika Adriano war der Urteilsverkündung aus Angst fern geblieben. Sie hatte einen rechtsextremistischen Drohbrief bekommen. "Sie hat einfach Angst. Die wollen sie und ihre Kinder töten", berichtet der Ausländerbeauftragte der Stadt Dessau, Razak Minhel, sichtlich um Fassung bemüht. Die Polizei fährt in der knapp 90 000 Einwohner zählenden Stadt verstärkt Streife um das Wohnhaus der Frau.

Angeklagte haben lange Zeit zum Nachdenken

Bis zu dem Skinhead-Überfall lebte sie mit ihrem Mann und ihren drei kleinen Jungen in Frieden in Dessau, einer Stadt mit rund 1 900 Ausländern. Alberto arbeitete auf einem Schlachthof. Seit vielen Jahren war er nicht in Mosambik. Zu Pfingsten feierte er mit Freunden in Dessau Abschied. Eine Besuchsreise zu seiner Familie in die afrikanischen Heimat war der Anlass. Auf dem Heimweg in seine Wohnung in Dessau traf er nur wenige Meter von seiner Haustür entfernt auf die drei Neonazis - seine Mörder. Am Tatort erinnert eine Stele an die schreckliche Nacht des 11. Juni 2000.

Die Familien von Alberto Adriano in Dessau und Mosambik weinen nun um ihren nächsten Angehörigen. Die drei Angeklagten haben lange Zeit zum Nachdenken "dass sie einer Frau den Mann, drei Kindern den Vater genommen haben", sagte der Richter. Das erst sieben Monate alte jüngste Kind werde "sogar ohne jede Erinnerung an den Vater aufwachsen müssen".

Nach den Worten des zur Urteilsverkündung angereisten 2. Botschaftssekretär Albino Lemos wird zu wenig für die vielen Opfer rechtsextremer Überfälle in Deutschland getan. Das Oberlandesgericht habe mit dem Urteil ein Zeichen gesetzt.

Schröder: Urteil angemessene Ahndung

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die Urteile für den Mord an dem 39-jährigen Mosambikaner Alberto Adriano als "angemessene Ahndung eines abscheulichen Verbrechens" bezeichnet. "Es zeigt, dass Staat, Polizei und Justiz unabhängig voneinander neue Grenzen setzen, die niemand überschreiten soll", sagte Schröder am Mittwoch in Wittenberge.

"Damit wird für die deutsche und internationale Öffentlichkeit klar, wie wir mit diesem Problem umzugehen gedenken", sagte der Kanzler. "Wir ziehen eine Grenze zu Gewalttäter und Rassisten." Das Ganze sei ein "Problem in Deutschland" und nicht "ein Problem Deutschlands".

Schröder wird an diesem Donnerstag im Rahmen seiner Sommerreise durch die neuen Länder auch das Mahnmal für den ermordeten Alberto Adriano besuchen. Der Kanzler werde dort einen Kranz niederlegen, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Charima Reinhardt am Mittwoch in Berlin.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) bezeichnete das Urteil als angemessen. Es setze ein klares Signal an alle rechtsextremen Gewalttäter. Justiz und Ermittlungsbehörden sei es gelungen, das Verfahren schnell zum Abschluss zu bringen. „Wir müssen uns aber darüber klar sein, dass rechtsextremes und ausländerfeindliches Gedankengut nicht nur mit Gerichtsurteilen und dem konsequenten Verhalten des Staats zu bekämpfen ist“, sagte Höppner. Hier sei die gesamte Gesellschaft und die tägliche Zivilcourage jedes Einzelnen gefragt.

Der rechtspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck, sagte: „Der Rechtstaat hat angemessen und konsequent reagiert. Das hohe Strafmaß für die Täter zeigt, dass rechtsradikale und fremdenfeindlich motivierte Gewalt in Deutschland nicht geduldet und von der Justiz im Rahmen der geltenden Gesetze aufs Schärfste geahndet werden kann.“

Unterdessen schlugen in Lübeck zwei Skinheads einen 33-jährigen Afrikaner zusammen. Dieser erlitt Prellungen und Schürfwunden. Die beiden 26 und 28 Jahre alten Tatverdächtigen wurden festgenommen. In Chemnitz begann ein Prozess um den gewaltsamen Tod eines 17 Jahre alten Punks gegen drei Hooligans. Ein 24-Jähriger sagte aus, er sei dabei gewesen, als seine Mitangeklagten den 17-Jährigen erschlagen hätten, habe selbst aber nicht zugeschlagen. In Gotha wurden drei Rechtsextreme nach einem Überfall auf drei Jugendliche angeklagt.

(RPO Archiv)
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