Cecilia Malmström "Ich muss die Deutschen nicht überzeugen"

Die EU-Handelskommissarin spricht im Interview über den Widerstand gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP.

Brüssel Die Wirtschaft verspricht sich viel vom Freihandelsabkommen mit den USA, viele Verbraucher dagegen sind alarmiert. Die TTIP-Kritik im Exportland Deutschland überrascht EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Die Schwedin, die für die Europäer mit den USA verhandelt, sieht vor allem die Bundesregierung am Zug.

Frau Malmström, kommen Sie vom Regen in die Traufe? Sie waren als Innenkommissarin für die Flüchtlingskrise zuständig, nun betreuen Sie als Handelskommissarin das nicht minder strittige TTIP-Abkommen.

Malmström Es stimmt, beide Themen sind herausfordernd, umstritten, erzeugen viele Emotionen. Handel ist wichtig, aber es gibt einen großen Unterschied: Wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken, verfolgen dich in der Nacht die Dämonen. Hatte ich einen miesen Verhandlungstag, ist das schlecht, es trifft mich aber nicht mitten ins Herz.

Zuletzt gab es politischen Rückenwind für TTIP. Das Europaparlament stimmte unter Auflagen dafür, der US-Kongress erteilte Präsident Barack Obama ein weitgehendes Verhandlungsmandat. Sind Sie nun optimistischer?

Malmström Das waren in der Tat sehr positive Ereignisse. Das Kongressmandat ermöglicht der US-Regierung, das transpazifische Handelsabkommen abzuschließen und mit uns Europäern voranzukommen. Das Europaparlament hat nach langen Diskussionen meine Linie unterstützt. Rückenwind gab es auch vom G 7-Gipfel Anfang Juni.

Der EU-Gipfel hat das Jahresende als Datum für das Ende der Verhandlungen genannt, Sie waren bisher zurückhaltender.

Malmström TTIP kann zum Jahresende gar nicht fertig sein - das war nie realistisch. Wenn wir bis Jahresende alle Angebote und Forderungen auf dem Tisch haben und schnell vorankommen, kann das Skelett des Abkommens stehen, also dessen Umriss. In diesem Fall hätten wir gute Chancen, es noch mit der Obama-Administration fertig zu verhandeln, was unser Ziel ist.

In Deutschland sehen Umfragen eine Mehrheit gegen TTIP. In Großbritannien oder Frankreich scheint sich die Stimmung ebenfalls zu drehen.

Malmström Ich wäre verrückt zu bestreiten, dass es in vielen Ländern heftige Debatten gibt. Insgesamt gibt es in der EU wohl eine Mehrheit dafür, aber das ist eher eine schweigende Mehrheit. Die Kritik dagegen ist sehr laut - auch ich habe den Eindruck, dass in einigen Ländern die Skepsis eher wächst.

Sind Sie eigentlich überrascht, dass der Widerstand gegen TTIP in Europas größter Exportnation am größten ist?

Malmström Mir ist bewusst, dass es in Deutschland eine traditionell starke grün-alternative Bewegung gibt. Andererseits: Deutschland profitiert mehr als alle anderen Staaten in Europa von TTIP. Insofern bin ich manchmal schon überrascht, wie heftig die Kritik ist in einem Land, das in hohem Maße vom Export abhängt und schon so stark mit der US-Wirtschaft verflochten ist. So aber ist die Lage - und damit müssen wir umgehen.

Wie wollen Sie den Kritikern begegnen?

Malmström Ich kann nur fortsetzen, womit ich begonnen habe. Seit ich im Amt bin, habe ich nie dagewesene Transparenz hergestellt: Mehr Dokumente sind online, zur jüngsten Runde in Brüssel waren 400 Vertreter der Zivilgesellschaft eingeladen, denen wir von den Verhandlungen berichteten. Mein Team und ich bereisen ganz Europa, um mit Bürgern, Abgeordneten und Nichtregierungsorganisationen zu reden. Aber die Hauptverantwortung liegt bei den Staaten, in deren Namen ich verhandle. Ich kann die Bürger in Deutschland nicht überzeugen, das muss die deutsche Politik machen. Ich weiß, dass Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel sehr engagiert sind, aber vielleicht müssen sie noch mehr tun - auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene.

Wo sehen Sie die Knackpunkte in den Verhandlungen?

Malmström Die Landwirtschaft bleibt ein schwieriges Thema. Geschützte geografische Herkunftsangaben sind für uns sehr wichtig - acht EU-Staaten haben klargemacht, dass es ohne keinen Deal gibt. Auch öffentliche Ausschreibungen sind heikel, da wir hier ein großes Interesse, die USA aber ihre "Buy American"-Klausel haben.

Der heikelste Punkt sind wohl die geplanten Investorenschutzklauseln (ISDS). Das Klagerecht von Konzernen gegen Staaten war lange ausgeklammert. Wann kehrt es zurück?

Malmström Im Herbst. Basis dafür werden meine Vorschläge vom Mai sein, die auch im Europaparlament und im Ministerrat nun als der richtige Weg angesehen werden. Intern arbeiten wir an einem rechtsverbindlichen Vorschlag, wie er in TTIP verankert wird: Öffentlich ernannte, unabhängige Richter sollen in transparenten Verfahren Urteile mit Revisionsmöglichkeit sprechen.

Warum muss es ISDS zwischen zwei funktionierenden Rechtssystemen überhaupt geben? Damit China nicht behaupten kann, schlechter gestellt zu sein als die USA?

Malmström Das ist ein Grund. Der zweite ist, dass neun EU-Staaten bereits bilaterale Investitionsschutzabkommen mit den USA haben, die viel fragwürdiger sind und auch nicht verschwinden, wenn wir sie nicht durch ein EU-Abkommen ersetzen. Und drittens steht der Investitionsschutz in meinem Verhandlungsmandat. Egal, was sie vielleicht lesen: Kein einziger der 28 Mitgliedstaaten hat verlangt, dass ich den Investitionsschutz ad acta lege.

Der transatlantische soll weltweiter Standard werden. Auch deshalb hat Hillary Clinton TTIP als "Wirtschafts-Nato" bezeichnet.

Malmström Von "Wirtschaft-Nato" würde ich nicht reden. Aber wir haben trotz aller Meinungsverschiedenheiten mit den Amerikanern am meisten gemein - etwa beim Verbraucherschutz oder dass Kinder bedenkenlos mit ihrem Spielzeug spielen können und es nicht in Kinderarbeit herstellen sollen. Wenn wir solche Standards gemeinsam setzen, werden sie globale Standards sein. Wenn wir das nicht machen, werden es andere tun- auf viel niedrigerem Niveau.

C. ZIEDLER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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