Kairo In Ägypten wächst die Unzufriedenheit

Kairo · Auf die sich dramatisch verschlechternde wirtschaftliche Lage reagiert das Regime mit Repression und Durchhalteparolen.

Herr Ahmed gibt den Besuchern des Tahrir-Platzes im Herzen der ägyptischen Hauptstadt Kairo eine Lektion in neuerer Geschichte. "Wissen Sie, was vor sechs Jahren hier los war?", fragt der kleine untersetzte Ägypter die wenigen Touristen, die sich in diesen Tagen auf dem Platz einfinden. Im selben Atemzug gibt er die Antwort: "Es war der Anfang unserer Revolution, die die Regentschaft von Husni Mubarak nach 30 Jahren beendete." Allerdings seien die Revolutionäre dann irregeleitet worden, fügt der Herr in der beigefarbenen Jacke schnell hinzu. Die Muslimbrüder wollten eine islamische Republik errichten. "Sisi hat uns gerettet."

Herr Ahmed sagt, er arbeite im Ägyptischen Museum und hätte keinerlei geschäftliche Interessen, um ausländische Touristen anzusprechen. Komisch nur, dass er ziemlich weit vom Museum entfernt steht, ganz am anderen Ende des Tahrir-Platzes, wo die Amerikanische Universität ihr Hauptgebäude hat. Und komisch ist auch, dass noch weitere Männer auf dem Platz herumstehen, die alle ganz ähnliche Jacken wie Herr Ahmed tragen.

Am 25. Januar vor sechs Jahren gingen erstmals Hunderttausende Ägypter gegen das verhasste Regime auf die Straße. Eine Welle der Rebellion gegen das Regime erfasste schließlich das ganze Land, bis der fast drei Jahrzehnte herrschende Husni Mubarak am 11. Februar abdanken musste. Heute ist der Beginn des Aufstandes zwar ein nationaler Feiertag, doch die Revolution ist abgeschafft. Nichts erinnert mehr daran.

Der Tahrir-Platz, wo alles begann und seinen Lauf nahm, wurde platt gemacht und in den Untergrund verlegt. Das gesamte Terrain ist zur Tiefgarage umfunktioniert worden. Oben liegen Betonplatten, die mit Sandwegen eingefasst sind. Ein paar Treppen führen nach unten, es gibt eine Zahlstation und Luftschächte. In der Mitte des Platzes weht eine riesige ägyptische Fahne.

Alles ist blitzsauber, wirkt steril. Polizisten, Mitglieder von Spezialeinheiten und vor allem Geheimdienstler dominieren das Straßenbild. Die jungen Revolutionäre von damals sitzen entweder im Gefängnis oder sind "aufs Land gefahren", wie es in Ägypten heißt, wenn man in die Wüste will. Die Revolution habe ihre Ziele aus den Augen verloren, als sie von speziellen Interessen geleitet wurde, sagte Staatspräsident Abdel Fattah al Sisi in seiner Rede zum Gedenktag und klingt dabei wie Herr Ahmed. Besser kann man die Haltung der jetzigen Machthaber nicht ausdrücken.

"Wir hatten damals eigentlich nur die Wahl zwischen einer Militärdiktatur oder einer Religionsdiktatur", analysiert Abdal Galil al Sharnoby die Situation. Der 42-Jährige ist Journalist und Mitarbeiter am Ägyptischen Zentrum für Recherche und Studien über religiöse Organisationen und Bewegungen. Das Zentrum ist ein regierungsnaher Think Tank, der mit Mitteln aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgestattet wird, die von Anfang an kritisch gegenüber der ägyptischen Revolution und dem Aufstieg der Muslimbruderschaft waren. Al Sharnoby ist für sie ein geschätzter Insider und hat eine Wende in seinem Leben vollzogen, die in Ägypten nicht unüblich ist: Euphorie und Jubel für den jeweiligen Machthaber haben Tradition am Nil.

Der Mann mit dem welligen schwarzen Haar war 23 Jahre lang Muslimbruder und ist im Verlauf der Revolution "konvertiert", wie er sagt. Noch bevor Mohammed Mursi zum Präsidenten gewählt wurde, hatte er den Bruch vollzogen. "Ihre Ideen waren mir zu radikal, sie wollten nicht nur Ägypten zu ihrem Islamismus bekehren, sondern die ganze Welt." Trotzdem, meint al Sharnoby, hätte die Revolutionsbewegung eine Chance gehabt, wenn sie nicht so zerstritten gewesen wäre. Stattdessen habe sie das Feld komplett den Muslimbrüdern überlassen, die dies schamlos für ihre Zwecke ausgenutzt hätten.

Der Friedensnobelpreisträger Mohammed al Baradei, der sich in den Revolutionstagen als Führungsfigur anbot, der eine Partei gründete und viel Zuspruch aus den Reihen der jungen Demonstranten bekam, wurde mit einer Schmutzkampagne überzogen, die bis jetzt anhält. Sein Rücktritt als Vize-Präsident, mit dem er auf das Blutbad reagierte, das die Armee unter den Anhängern des vom Militär gestürzten Mohammed Mursi angerichtet hatte, wird ihm bis heute verübelt.

Nachdem Baradei unlängst in einem Fernsehinterview auch noch ganz offen die aktuellen Missstände in Ägypten angeprangert hat, werden nun Stimmen lauter, die ihm sogar die ägyptische Staatsbürgerschaft aberkennen wollen. Parlamentarier haben ein entsprechendes Gesuch an den Staatspräsidenten geschickt. Baradei hat schon vor drei Jahren Ägypten verlassen und lebt seitdem in Wien.

Die Missstände, die Baradei in dem Interview anspricht, sind allerdings gravierend. Seit Anfang November ist die ägyptische Währung im freien Fall. Das Pfund hat seither 100 Prozent an Wert verloren. Die Inflation lag im Dezember bei 23,3 Prozent, so hoch wie noch nie, und die Arbeitslosigkeit nimmt von Monat zu Monat zu. Jetzt liegt sie offiziell bei 17 Prozent.

Importwaren sind durch den hohen Dollarkurs kaum noch zu bezahlen. Die Regale in den Supermärkten werden leerer. Dabei ist Ägypten schon lange nicht mehr in der Lage, seine explodierende Bevölkerung selbst zu ernähren und ist deshalb auf massive Lebensmittel-Importe angewiesen. Es gibt kaum noch weißen Zucker, Babynahrung wird ebenfalls knapp, Medikamente sind unerschwinglich geworden.

Die Menschen tauschen sich aus, wo noch etwas zu kaufen ist und fahren oft kilometerweit, um das gesuchte Produkt zu erstehen. Besonders die Mittelschicht leide unter der Situation, sagt ein früheres Mitglied der Baradei-Partei. Sie hat sich inzwischen aufgelöst, da nicht nur ihr Gründer, sondern auch die Mitglieder der Partei massiv bedroht wurden. Der Kostendruck auf die Bevölkerung sei enorm, seit die Subventionen für Strom, Wasser und Benzin zusammengestrichen wurden. "Die Revolution ist für uns zum Alptraum geworden."

Unterdessen klopft der Staatspräsident Durchhalteparolen. Er wisse um die schwierige Lage vieler Menschen im Land, sagte al Sisi in seiner Rede zum Revolutionstag. Noch sechs Monate werde es dauern, bis es wieder aufwärts gehe, der Pfundkurs sich gegenüber dem Dollar einpendele und die Reformen Wirkung zeigten. Die gravierenden Einschnitte sind Auflagen des Internationalen Währungsfonds, der Ägypten einen Kredit über zwölf Milliarden Dollar auf drei Jahre gewährte, um einen Teil der enormen Staatsschulden zu tilgen und die Wirtschaft anzukurbeln. Doch die erste Ratenzahlung soll für Nahrungsmittelimporte verwendet worden sein, berichten verlässliche Quellen. Die Regierung fürchtet Brot-Unruhen, die schon einmal Anfang der 1980er Jahre erhebliche Turbulenzen am Nil auslösten.

Spricht man mit den Menschen auf der Straße, die nicht zu Herrn Ahmeds Geheimdiensttruppe am Tahrir-Platz zählen, so sind die Antworten gemischt. Einige meinen, dass die Reformen längst überfällig seien und eigentlich zu spät kämen. Andere glauben, dass die Regierung die Abwärtsspirale noch stoppen könne und Ägypten auf den richtigen Weg bringe. Roqaja aber glaubt gar nicht mehr an die Zukunft ihres Landes - und schon gar nicht an die Versprechungen des Präsidenten. Die 19-jährige Ägypterin sitzt in der Ecke eines traditionellen Altstadtkaffees unweit des Tahrir-Platzes und hat gerade ihr Abitur gemacht. "Studieren?" Ja, das würde sie gerne. "Aber was nützt es?" Sie bekäme ohnehin keinen Job, wie die meisten ihrer Altergenossen. Sie war 13 Jahre alt, als die Demonstranten den Sturz des Mubarak-Regimes forderten und viel Hoffnung in der Luft lag. Sie könne nicht erkennen, dass das alles etwas gebracht hätte, sagt sie resigniert. "Du hast im Moment nur zwei Möglichkeiten in Ägypten: Entweder du fügst dich, oder du verlässt das Land." Und genau das versuchen gerade immer mehr junge Ägypter auf der gefährlichen Route über das Mittelmeer. Ziel: Europa.

(RP)
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