Brüssel In Brüssel tobt eine Schlacht um die Biene

Brüssel · Zum Schutz der Honigbiene hat die EU 2013 vier Gifte verboten. Die Industrie will die Regelung kippen, die Öko-Lobby will sie verschärfen.

Summ, summ, summ, Bienchen summ herum. Die heile Welt dieses Kinderliedklassikers ist bedroht. Seit einigen Jahren macht der Begriff des "Bienensterbens" die Runde: Jeden Frühling schauen Imker besorgt nach, wie viele ihrer Völker den Winter nicht überlebt haben - und es wurden zuletzt immer mehr. Das Wetter hat genauso Einfluss darauf wie Milben- oder Virenbefall oder die Schädigung durch chemische Pflanzenschutzmittel. Der große Streit geht darum, in welchem Ausmaß welcher Faktor verantwortlich ist.

Im Mai 2013 hat die EU-Kommission gehandelt - zumindest im Rahmen dessen, was sie entscheiden konnte. Die Brüsseler Behörde schränkte den Einsatz dreier Pestizide selbstständig ein, nachdem es unter den Mitgliedstaaten weder eine ausreichende Mehrheit dafür noch dagegen gegeben hatte. Zwei der betroffenen so genannten Neonikotinoide werden vom deutschen Chemiekonzern Bayer hergestellt, das dritte vom Schweizer Konzern Syngenta. Im August 2013 folgte ein Verbot des Wirkstoffs Fipronil aus dem Hause BASF. Grundlage der Beschlüsse war eine Einschätzung der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa). Fipronil stelle "ein hohes akutes Risiko für Honigbienen" dar. Von den drei Neonikotinoiden gehe ebenfalls "eine Reihe von Risiken für Bienen" aus. Für die EU-Kommission war der Fall damit klar.

Die Entscheidung wurde damals ohne Ablaufdatum zum Gesetz. Mündlich wurde jedoch zugesagt, die Lage nach zwei Jahren neu zu bewerten. Derzeit tobt in Brüssel eine Schlacht zwischen den Interessenvertretern der Industrie und diverser Umweltgruppen. Alle wollen die EU-Kommission auf ihre Seite ziehen und das Pestizidverbot wahlweise aufheben oder erweitern.

Der Bayer-Konzern gehört dabei wenig überraschend zu jenen, die ein Ende des Verbots erreichen wollen. Die Leverkusener haben in der Sache sogar schon den Europäischen Gerichtshof angerufen, dessen Urteil im Sommer erwartet wird. Ihr Hauptargument: Die Brüsseler Entscheidung entspräche, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, nicht dem aktuellen Forschungsstand. Noch 2013 "schien die Einschränkung den allgemeinen Konsens der wissenschaftlichen und öffentlichen Meinung widerzuspiegeln", heißt es in einem Positionspapier, "aber seitdem sind die Zweifel an vielen Fronten gewachsen".

Mehrere Studien, die in der Varroa-Milbe, Viruserkrankungen und ungünstigen Wetterlagen die Hauptprobleme für die Honigbiene sehen, untermauern aus Sicht von Bayer nun die These, dass "die EU-Entscheidung voreilig und ohne schlüssige wissenschaftliche Beweise getroffen wurde". Zitiert werden etwa die Oxford-Professoren Angela MacLean und Charles Godfray, die schreiben: "Der Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Neonikotinoiden und dem Rückgang der Honigbiene ist schwach."

Noch genüsslicher wird der Kommissionsbeamte Michael Flüh zitiert: "Die jüngste Entscheidung über die Aussetzung bestimmter Anwendungsbereiche von Neonikotinoiden wurde nicht getroffen, weil diese eine wichtige Bedrohung für die Gesundheit der Bienen darstellen, sondern weil sie der einzige Faktor waren, den die EU-Kommission schnell regulieren konnte." Auf die Frage, warum dennoch so viele Experten in den chemischen Stoffen eine Gefahr für die Bienenvölker sahen, hat Bayer ebenfalls eine einfache Antwort parat: Bei den Labortests, die diesen Untersuchungen zugrunde lägen, würden die Honigsammlerinnen einer viel höheren Wirkstoffkonzentration ausgesetzt als unter realen Bedingungen in der Natur - bei Feldversuchen gäbe es solch "unerwünschte Effekte" kaum. Kurzum: Wenn die Imker nur konsequent Milben und Viren bekämpften, würden sich die Bienenvölker wieder erholen - wie das ja auch schon zu beobachten sei.

Es gibt aber auch eine völlig andere Sicht auf die Dinge, unterstützt von anderen Studien. Die Harvard School of Public Health hat nachgewiesen, dass die beiden Neonikotinoide Clothianidin und Imidacloprid Bienenvölker, gerade in besonders kalten Wintern, anfälliger machen. "Hochwahrscheinlich sind Neonikotinoide dafür verantwortlich, dass der Zusammenbruch von Bienenkolonien ausgelöst wird", schreibt der Autor Chensheng Lu. Und die Weltnaturschutzunion kommt zu dem Schluss, dass die Pflanzenschutzmittel nicht nur Bienen und Hummeln, sondern auch Regenwürmer und Vögel gefährden, weil sie so lange im Boden bleiben. Markant sei die Verbesserung der Lage seit Inkrafttreten des Verbots, von dem nur Winterweizen und Pflanzen in Gewächshäusern ausgenommen sind. Die EU-Institutionen haben nach dem Beschluss 2013 eine Studie in Auftrag gegeben. Danach ist die Todesrate nach dem Winter 2013/2014 - dem ersten, in dem Pflanzenschutzmittel untersagt waren - merklich geringer gewesen als im Vorjahr. Hatte damals, speziell in Nordeuropa, fast jedes dritte Bienenvolk nicht überlebt, so war es nun "nur" noch jedes fünfte.

Trotzdem betrachtet die EU-Agentur Efsa die Ergebnisse vorerst noch "mit Vorsicht". Möglicherweise auch aus Rücksicht auf die Unternehmen, die der Meinung sind, erst die noch nicht vorliegenden Daten des zurückliegenden Winters ließen echte Schlüsse zu - schließlich hätten für den Winter 2013/2014 noch Übergangsregeln gegolten.

Für Corinna Hölzel sind das "Ausreden". Selbst wenn es andere Untersuchungen gebe, so die Expertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, müsse angesichts des "Giftcocktails mit noch gänzlich unerforschten Wechselwirkungen" im Zweifel für die Biene entschieden werden. So fordert es das sogenannte Vorsorgeprinzip der EU.

Hölzels Organisation, die kürzlich vor der Bayer-Hauptversammlung demonstrierte, fordert viel weiterreichende Maßnahmen als bisher: "Bayer muss sämtliche bienengefährdenden Pestizide vom Markt nehmen", verlangt Corinna Hölzel. Der Schutz der Bienen, die die Bestäubung von zwei Dritteln aller Nahrungspflanzen besorgen, müsse Vorrang vor Profitinteressen haben. Die EU müsse alle Neonikotinoide ohne Einschränkung verbieten.

Bayer kontert ebenfalls mit der Nahrungsproduktion. So sei die Zahl der Bienen nicht rückläufig, sagte ein Konzernvertreter. Die Ernteerträge dagegen wohl - in mehreren Ländern seien wegen massiv befallener Rapskulturen bereits Notfallgenehmigungen für die Pflanzenschutzmittel beantragt worden. "Nahezu alle Rapsflächen im Land sind betroffen", schreibt Schleswig-Holsteins Bauernverband.

All das muss die EU-Kommission bedenken, wenn sie bis Jahresende ihre "Bienenpolitik" überprüft. Der neue zuständige Kommissar Vytenis Andriukaitis hält sich noch bedeckt - und greift in einer Antwort auf eine Anfrage aus dem Europaparlament Argumente beider Seiten auf. Die Gründe für das Bienensterben seien "multikausal", es gebe zudem "keine klaren Anzeichen, dass die Zahl der Bienenvölker signifikant sinkt", schrieb der Litauer. Andererseits verweist er auf die Entscheidung seiner Vorgänger: "Die EU-Kommission ist aktiv geworden, um die höher als normale Sterblichkeitsrate besser zu verstehen und wenn möglich zu verhindern."

Bei so viel "Sowohl-als-auch" ist für die bienenfleißigen Lobbyisten beider Seiten noch viel zu tun. Erst am 22. Mai wurden sie offiziell aufgefordert, der EU-Kommission in den nächsten Monaten noch mehr Daten zu liefern.

(RP)
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