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USA In Nelson ist Waffenbesitz erste Bürgerpflicht

Nelson · Ein Dorf in Amerikas Süden sorgt mit einem Revolver-Erlass für Wirbel: Jeder Haushalt muss eine Waffe besitzen.

Jackie Jarrett empfängt in einem Museum, einer Sammlung all dessen, worauf Nelson stolz sein kann. Nelson, Georgia, ein Dorf mit knapp 1500 Einwohnern, war einmal Amerikas Marmor-Metropole. Gerahmte Zeitungsausschnitte an den Wänden erzählen Geschichten von früher, als die kostbaren Gesteinsblöcke aus dem Long Swamp Valley nach Washington gekarrt wurden, um hauptstädtische Prachtbauten zu zieren, das Kapitol, die Notenbank, das Memorial Abraham Lincolns.

Die Zeiten sind lange vorbei, die Georgia Marble Company, die den örtlichen Steinbruch betreibt, ist nur noch ein Schatten einstiger Größe, Nelson aus anderen Gründen in die Schlagzeilen geraten. Wegen eines Revolver-Erlasses. Denn hier in Nelson darf nicht nur jeder bewaffnet sein, er muss es sogar. Im örtlichen Gesetzbuch heißt es, dass "mit dem Ziel, die Sicherheit und allgemeine Wohlfahrt der Stadt (sic!) und ihrer Bewohner aufrechtzuerhalten, jeder Vorstand eines Haushalts eine Schusswaffe samt Munition zu besitzen hat".

"Es geht darum, Kriminelle abzuschrecken", sagt Thad Thacker, der Jarrett Gesellschaft leistet in der Museumsbaracke, die zugleich als Versammlungsraum für den Gemeinderat dient. "Die schweren Jungs wissen jetzt, in Nelson hat jeder eine Kanone, in Nelson versuchen wir es erst gar nicht." Thacker trägt einen eisgrauen Walrossbart, was seinem Gesicht etwas Verwegenes gibt, und eine marineblaue Baseballkappe, die ihn als Vietnamveteranen der Navy ausweist. Jarrett, ehemals Bauarbeiter, heute berufsunfähig und angewiesen auf Invalidenrente, kommt in Jeans und Jeanshemd daher. Die beiden nehmen sich Zeit, es passiert ja nicht so oft, dass sich Reporter nach Nelson verirren. "Nein, wir schicken keine Polizisten in die Häuser und überprüfen, ob deren Bewohner auch wirklich eine Flinte haben", beteuert Jarrett.

Diffuse Angst vor "feindlichen Kräften"

Vor einem Jahr, als die Verordnung in Kraft trat, klang das freilich noch viel drastischer. Da sollten Haushaltsvorstände satte 1000 Dollar Strafe zahlen, falls sie sich dem Waffenzwang widersetzten. Dann verlor der fünfköpfige City Council, mit Jarrett an der Spitze, einen Rechtsstreit, der in ganz Georgia für Aufsehen sorgte. Ein gewisser Lamar Kellett, ein Urgestein aus Nelson, hatte 646 Dollar für den Kauf einer Pistole ausgeben müssen, dazu 32 Dollar für die dazugehörigen Patronen, um den strengen Auflagen gerecht zu werden.

Dagegen klagte er, unterstützt vom Brady Center to Prevent Gun Violence, einer Initiative für strengere Schusswaffenkontrollen. Die Verfassung, argumentierte Kellett, garantiere jedem Amerikaner nicht nur das Recht auf Waffenbesitz, sie garantiere ihm eben auch das Recht, keine Waffe zu tragen. Mit anderen Worten, der Bürger habe in diesem Punkt Entscheidungsfreiheit. Kellett setzte sich durch, seitdem ist der Paragraf mit der Geldbuße in der Revolver-Verordnung nur noch Makulatur. An den Gründen für den Waffenzwang, so sieht es jedenfalls Jarrett, ändert der kleine Schönheitsfehler allerdings nichts.

"Mal angenommen, wir müssen uns verteidigen. Dann bilden die Bürger von Nelson eine Miliz, so steht es ja auch in der Verfassung", philosophiert er und zählt auf, wer dem Freiwilligentrupp angehören würde: der örtliche Polizist und sechs Armee-Reservisten, das wäre das Kernkontingent. Gegen wen man sich verteidigen müsse? "Mal angenommen, feindliche Kräfte übernähmen die Macht", antwortet Jarrett im Verschwörerton und lässt dabei im Nebel, welche Kräfte er meint. Eigentlich wäre es ja die Aufgabe der Nationalgarde, gegen den Feind einzuschreiten. "Aber wer befehligt die Nationalgarde? Der Präsident. Und Barack Obama traue ich nicht."

Mit der Knarre in die Kneipe

Irgendwann erklärt Tacker, dass die Patrioten von Nelson im Grunde nur eine politische Botschaft aussenden wollten, eine Botschaft ans Weiße Haus. Als Präsident Obama nach dem Amoklauf an einer Grundschule in Newtown, bei dem der jugendliche Täter 27 Menschen erschossen hatte, vom Verbot von Sturmgewehren zu reden begann, "da dachten wir uns, hier muss jemand gegenhalten, sonst ist es um unsere Verfassung geschehen."

Nebenan schnarrt ein Walkie-Talkie, dort sitzt Jim Koury, der Polizeichef, ein Kleiderschrank von einem Mann. Auf dem Regal der Helm eines Football-Spielers. Ohne Umschweife erzählt Koury von den Ordnungshütern, die in neun von zehn Fällen zu spät kämen, wenn etwas passiere. "Eine Regierung, die den Leuten nicht gestattet, sich selber zu schützen, handelt fast schon kriminell", wettert der Sohn libanesischer Einwanderer. "Miss Francis hier oben in der Siedlung, die kann mit ihren 87 Jahren noch immer einen Abzug drücken. Ob Miss Francis einen Angreifer mit einem Baseballschläger niederstrecken kann, das wage ich dagegen zu bezweifeln."

Seit Juli aber hat Georgia ein neues Waffengesetz, das lockerste der Vereinigten Staaten, das selbst in Nelson gemischte Gefühle auslöst. Neuerdings darf man sein Schießeisen fast überallhin mitnehmen, in die Kneipe, die Kirche, in öffentliche Gebäude und sogar auf den Flughafen von Atlanta, einen der größten der Welt — jedenfalls bis zur Sicherheitsschleuse.

Schon Kinder lernen schießen

Jarrett ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken. Wenn die Gemeinde tage, werde schon mal gestritten, manchmal lägen die Nerven blank, sicher. "Und nun? Du weißt nicht, wer durch diese Tür kommt", seufzt er und schaut ratlos in Richtung Barackeneingang. "Ist es jemand mit einem Revolver, musst du ihn trotzdem reinlassen." "Verrückt", sekundiert Thacker und spricht vom Wilden Westen. "Waffen am Kneipentresen? Damit sind wir in Dodge City."

Szenenwechsel. Kennesaw, sauberes, aufgeräumtes Vorstadt-Milieu vor den Toren Atlantas. 1982 war Kennesaw die erste amerikanische Stadt, die ihre Bürger zum Waffenbesitz verpflichtete. Wenn Craig Graydon davon erzählt, spricht auch er von einem Zeichen, das es damals zu setzen galt. Morton Grove, ein Vorort von Chicago, hatte Privatwaffen im Stadtgebiet für illegal erklärt. Also wollte der Süden die Flagge des Widerstands hissen, dem liberalen Amerika im Kampf der Kulturen die konservative Stirn bieten. Graydon hat daheim gleich zwei Pistolen im Schrank, eine Glock und eine Smith & Wesson. Sein Vater war 30 Jahre bei der Marineinfanterie, schon als Kind lernte er schießen, wie die meisten Nachbarskinder auch. "Wissen Sie, all die Gesetze, das ändert eigentlich nichts."

Dent Myers steht hinter seiner Ladentheke wie ein gealterter Hippie aus San Francisco, mit langen, verknoteten Bartsträhnen und einem schwarzen Band um die Stirn. Nur dass in den Lederhalftern um seine Hüften zwei Pistolen stecken und ihn graue Bürgerkriegsuniformen flankieren, graue Militärmützen, eine Whiskeyflasche Marke Rebel Yell. "Wildman's Civil War Surplus", das Memorabiliengeschäft, das Myers seit 43 Jahren betreibt, versteht sich als Bastion trotziger Südstaaten-Nostalgie. "Wenn die Yankees im Norden sagen, ihr könnt keine Waffen haben", grummelt der alte Mann, "erwidern wir hier unten, oh doch, ganz sicher können wir das".

(RP)
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