Analyse Irans Präsident braucht den Westen

Wien/Düsseldorf · Die Verhandlungen über das Atomprogramm des Iran treten in ihre entscheidende Phase. Die Unterhändler müssen bis Montag einen Durchbruch schaffen. Am meisten zu verlieren im Falle eines Scheiterns hätten die Gemäßigten mit ihrer Galionsfigur Hassan Rohani.

Noch tickt die Uhr. Aber am Montagabend um Mitternacht werden die Zeiger angehalten. Dann läuft die Frist ab, bis zu der eine Einigung im Streit um das iranische Atomprogramm erzielt werden muss. Im November 2013 hatten sich der Iran sowie die fünf ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich gemeinsam mit Deutschland in Genf auf ein Interimsabkommen geeinigt. Doch nun muss ein definitiver Deal her. Eine erste Frist war bereits im Juli abgelaufen und verlängert worden, aber diesmal soll es keinen weiteren Aufschub geben. Die Unterhändler lassen deutliche Anzeichen von Nervosität erkennen.

US-Außenminister John Kerry flog bereits gestern nach Wien, und sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier kürzte eine Afrika-Reise ab, um ebenfalls frühzeitig in die österreichische Hauptstadt zu eilen, wo endlich der Durchbruch erzielt werden soll - nach mehr als einem Jahrzehnt zäher Gespräche, iranischer Finten und gegenseitiger Drohungen. Eine solche Gelegenheit, schwant Steinmeier, werde "sich so schnell nicht wieder ergeben". Der Westen will sicherstellen, dass der Iran nicht unter dem Deckmantel eines zivilen Atomprogramms Nuklearwaffen entwickelt. Angeblich sind 90 Prozent des Vertrags bereits ausgehandelt. Aber die wichtigsten Punkte sind immer noch offen: Wie viel spaltbares Material darf der Iran behalten? Wie viele Zentrifugen zur Urananreicherung darf das Land betreiben? Und vor allem: Welche Kontrollen vor Ort lässt das Mullah-Regime zu, um die Einhaltung der Vereinbarungen zu überprüfen? "Es wird entweder eine verantwortungsvolle Vereinbarung geben - oder gar keine Vereinbarung", warnte Steinmeier.

Für den iranischen Präsidenten Hassan Rohani wird der diplomatische Showdown in Wien möglicherweise zum politischen Finale. Rohani war vor anderthalb Jahren vor allem auch deswegen gewählt worden, weil er versprach, eine Aufhebung der internationalen Sanktionen zu erreichen, die sein Land strangulieren. Seit Jahren leben die Iraner mit einer galoppierenden Inflation und explodierenden Lebenshaltungskosten. Die Landeswährung hat die Hälfte ihres Wertes eingebüßt. Der Außenhandel liegt am Boden. Die iranische Öl-Industrie müsste dringend in ihre maroden Anlagen investieren, kommt aber weder an das Geld dafür noch an die benötigten westlichen Ausrüstungsgüter. Viele Firmen mussten ihre Mitarbeiter entlassen, immer größere Bevölkerungskreise verarmen.

Rohanis politisches Überleben ist daher mit dem Ende der Sanktionen verknüpft. Sollte sein Außenminister Mohammed Dschawad Sarif mit leeren Händen aus Wien zurückkehren, würde das den Hardlinern in Teheran mächtig Auftrieb geben. Ihnen gilt der vergleichsweise moderate Rohani, der einen Kurs der Annäherung an den Westen und insbesondere den als "Großen Satan" verteufelten Erzfeind USA steuert, als Verräter an der Sache der islamischen Revolution. Schon bei den Parlamentswahlen Anfang 2016, so fürchten Rohanis Anhänger, könnte das politische Pendel in die andere Richtung ausschlagen. Ein Flop in Wien könnte damit den Anfang vom Ende der zarten Reformhoffnungen im Iran markieren.

Aber auch auf der anderen Seite droht sich das Verhandlungsfenster zu schließen. Im Januar tritt der neugewählte US-Senat zusammen. Damit beherrschen die Republikaner künftig beide Kammern des US-Kongresses, und das könnte zu einer Verhärtung der amerikanischen Position führen. Immerhin ist aber auch den Konservativen bewusst, dass der Iran im Kampf gegen die neue Bedrohung durch den "Islamischen Staat" ein nützlicher regionaler Verbündeter sein kann. Ein Argument, das in Washington den Willen zur Einigung im Atomstreit zuletzt sicherlich gefördert hat.

Dagegen setzt neben den iranischen Konservativen vor allem der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf ein Scheitern der Atomgespräche. Netanjahu wird nicht müde, vor einem "schlechten Deal" zu warnen, einem zu laschen Abkommen, das es dem Iran ermöglichen würde, insgeheim weiter an der Bombe zu bauen. Netanjahu - und mit ihm viele Israelis - halten das moderate Auftreten Rohanis für einen billigen Trick, um die Sanktionen loszuwerden. Der Iran habe sich "offen zur Zerstörung Israels verpflichtet", betonte Netanjahu. In der Tat hatte Irans geistlicher Führer Ajatollah Ali Chamenei erst vor zehn Tagen per Twitter neun Thesen verbreitet, warum das "zionistische Regime" ausradiert werden müsse. Chamenei ist der eigentliche starke Mann im Iran - und ein starker Befürworter des Atomprogramms.

(RP)
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