Istanbul IS ruft Türken zum Sturz Erdogans auf

Istanbul · Erstmals richtet sich der "Islamische Staat" in einem Video direkt an die Türkei. Die Terrormiliz ruft zum Kampf gegen den "Teufel Erdogan" auf. Die Polizei befürchtet Anschläge, doch das Land ist wegen der sich anbahnenden Neuwahlen gelähmt.

Warnend hebt der Mann mit Bart, Brille und Kalaschnikow die Hand. Der "Teufel Erdogan" habe die Türkei an die PKK-Kurdenrebellen und die "Kreuzfahrer" aus dem Westen verkauft, sagt er. "Kämpft gegen die Freunde des Teufels."

Das erste ganz der Türkei gewidmete Propaganda-Video des "Islamischen Staats", das am Dienstag im Internet auftauchte, ist eine siebenminütige Tirade gegen den angeblichen Islam-Feind im türkischen Präsidentenamt und die un-islamische säkuläre Republik. Aufgenommen in einer kargen Wüstenlandschaft, zeigt der Film den IS-Sprecher, der, eingerahmt von zwei schweigenden Waffenbrüdern, von der "Eroberung Istanbuls" schwärmt und die Türken zur Hilfe für den IS aufruft.

Spätestens seit sich ein IS-Anhänger in der Stadt Suruç an der Grenze zu Syrien am 20. Juli in die Luft sprengte und mehr als 30 Menschen tötete, rechnen die Sicherheitsbehörden damit, dass der IS mit einer Terror-Offensive in der Türkei starten könnte. Vor wenigen Tagen entdeckten die Sicherheitsbeamten rund 30 zum Teil einsatzbereite Sprengstoff-Westen für Selbstmordattentäter. In Istanbul eröffneten gestern zudem zwei Angreifer das Feuer auf die Polizei. Die Beamten hätten den Dolmabahce-Palast aus der Zeit des Osmanischen Reiches bewacht - eine der größten Besucherattraktionen der Stadt -, berichtete die Nachrichtenagentur Dogan. Es sei aber niemand verletzt worden. Die beiden Schützen seien in Gewahrsam. Ob es sich um Kämpfer des IS handele, ist nicht bestätigt.

Mit der Zustimmung zur Nutzung türkischer Luftwaffenstützpunkte durch US-Kampfflugzeuge und der Hilfe für die gemäßigten Rebellen von der "Freien Syrischen Armee" hat sich die türkische Regierung aus Sicht des IS endgültig auf die Seite der Feinde des wahren Islam gestellt. Die westlichen "Kreuzfahrer" schickten sich an, die Türken zu versklaven, warnt der IS-Sprecher in dem Video.

Zudem gibt es Berichte, wonach Ankara mit Waffenlieferungen an die syrische Rebellen-Allianz "Armee der Eroberung" begonnen hat. Die "Armee", zu der unter anderem die syrische Al Qaida-Gruppe Nusra-Front gehört, kämpft gegen den IS. Auch ideologisch trifft Ankara nun Maßnahmen gegen den "Islamischen Staat". Das türkische Religionsamt erklärte, die Dschihadisten-Miliz schade vor allem dem Islam und den Muslimen. Westliche Kritiker werfen der Türkei vor, den IS zu lange ignoriert zu haben. Ankara weist das zurück, doch ist nicht zu übersehen, dass sich die Sicherheitsbehörden in jüngster Zeit mehr Mühe geben, den Zustrom von ausländischen Kämpfern über die Türkei zu stoppen. In der Stadt Gaziantep fasste die Polizei vor Kurzem vier IS-Kuriere, die Uniformen, Munition und eine Flugdrohne über die Grenze nach Syrien schaffen wollten.

Doch während die IS-Gefahr wächst, ist Ankara wegen des Gezerres um die Regierungsbildung und vorgezogene Neuwahlen gelähmt. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat nach den gescheiterten Koalitionsgesprächen das Mandat zur Regierungsbildung zurückgegeben. Es ist wahrscheinlich, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bald Neuwahlen ankündigt.

Viel Zeit bleibt nicht mehr: Die 45-Tage-Frist zur Regierungsbildung läuft an diesem Sonntag aus. Erdogan hatte deutlich gemacht, dass er die Frist nicht verlängern wolle. Wenn bis Sonntag keine Regierung steht, werden Neuwahlen ausgeschrieben. Im dann beginnenden Wahlkampf wird sich erst recht die Frage stellen, wer in Ankara noch die Zeit hat, um sich um die Drohungen des "Islamischen Staats" zu kümmern.

(RP)
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