Gefahr durch den Islamismus Der faustische Pakt der Saudis

Düsseldorf · Die Golfmonarchie verbreitet seit Jahrzehnten weltweit einen radikalen Islamismus, der sie inzwischen selbst bedroht.

Der König und Premierminister von Saudi-Arabien, Salman bin Abdelasis al-Saud.

Der König und Premierminister von Saudi-Arabien, Salman bin Abdelasis al-Saud.

Foto: dpa, bvj pzi sab

Das Inferno brach ohne jede Vorwarnung los: Beinahe 500 radikale Islamisten aus mehreren arabischen Ländern stürmten die Große Moschee in Mekka, schossen um sich und nahmen Tausende von Gläubigen als Geiseln. Anführer der Männer war Dschuhaiman al Utaibi, ein fundamentalistischer Prediger. Der Überfall fand am 20. November 1979 statt, dem letzten Tag des Pilgermonats und am Vortag des Neujahrstags des Jahres 1400 nach muslimischer Zeitrechnung. Die Angreifer verschanzten sich, riefen zum Sturz des saudischen Königshauses auf und forderten den Stopp aller Öllieferungen an die USA. Im Westen haben die meisten den blutigen Zwischenfall in der arabischen Wüste längst vergessen. Dabei war er der Auslöser dafür, dass Saudi-Arabien endgültig zum wichtigsten Exporteur eines archaischen und intoleranten Islam wurde. Und damit auch zum Geburtshelfer des Islamischen Staats (IS).

Für die blutige Rückeroberung der Heiligen Stätten, zu der man auch Eliteeinheiten der französischen Gendarmerie, also "Ungläubige", zu Hilfe rufen musste, benötigte der damalige König Khalid dringend den Segen des islamischen Klerus, mit dem das Haus Saud seit Mitte des 18. Jahrhunderts auf Gedeih und Verderb verbunden ist. Im Gegenzug bekamen die Theologen noch mehr Macht, um mit aller Strenge die Regeln des Wahhabismus durchzusetzen, einer besonders puritanischen Spielart des sunnitischen Islam.

Außerdem flossen seither Milliarden von Petrodollars in die wahhabitische Mission im Ausland. In einer 2007 publizierten Studie schätzte ein ehemaliger US-Botschafter, die Golfmonarchie habe in den zurückliegenden 25 Jahren mindestens 87 Milliarden Dollar in religiöse Propaganda investiert. Das Geld floss in den Bau Tausender Moscheen, Koranschulen und anderer religiöser Zentren, in Jugendprojekte, den Druck wahhabitischer Schriften sowie den Betrieb islamischer Radios, TV-Sender und Websites. Gezielt wurden bevölkerungsreiche, aber wirtschaftlich schwache Staaten in Südostasien missioniert, darunter Indonesien, Malaysia und Pakistan.

Der ideologische Feldzug ist erfolgreich

Aber auch in Afrika und selbst in westlichen Staaten wird für die saudische Staatsreligion geworben, die sich gegen gemäßigte Sunniten ebenso richtet wie gegen die als Häretiker geltenden Schiiten und gegen Nichtmuslime. Dieser ideologische Feldzug ist erfolgreich, ganz besonders im Nahen und Mittleren Osten. Viele Länder dort, so beklagte es unlängst der von radikalen Salafisten mit dem Tod bedrohte algerische Schriftsteller Kamel Daoud, seien längst durch und durch vom islamistischen Geist durchdrungen.

Für Daoud ist Saudi-Arabien nichts anderes als ein IS, der reüssiert hat. "Beim IS schneiden sie Kehlen durch, töten, steinigen, schlagen Hände ab, zerstören das Menschheitserbe, hassen die Archäologie, die Frauen und nichtmuslimische Ausländer", ätzt der Autor. Die Saudis kämen zwar besser gekleidet und gepflegter daher, täten aber genau dasselbe. In der Tat gleichen sich die saudische Staatsreligion und die fundamentalistische Logik des IS nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis.

Geld floss auch an den IS

Die ideologische Nähe zum IS wurde wohl wenigstens zu Beginn auch finanziell unterfüttert. Welche Summen den Extremisten aus den saudischen Schatullen zugeflossen sind, ist unmöglich zu bestimmen. Sicher ist allemal, dass die finanzielle Unterstützung der Terror-Organisation vom Königshaus lange Zeit auch deswegen mit Wohlwollen gesehen wurde, weil sie dem Kampf gegen das Vordringen des verhassten schiitischen Rivalen Iran in der Region zu nutzen schien. Aber das ist Vergangenheit, denn in Riad hat man begriffen, dass der IS mit seinem absoluten Machtanspruch längst auch die saudische Dynastie bedroht. Im August 2014 bezeichnete der Großmufti des Königreichs Angehörige des IS öffentlich als "größte Feinde des Islam".

Offiziell haben sich die Saudis also von ihrer Kreatur distanziert. Aber aus der Falle, in die sie sich vor vielen Jahrzehnten begeben haben, kommen sie nicht so leicht heraus. Auch der neue saudische Herrscher, König Salman, klammert sich an den von seinem Urahn mit einem Wüstenprediger geschlossenen Pakt. Der wahhabitische Klerus legitimiert seither die Herrschaft des "Hüters der beiden Heiligen Stätten", Mekka und Medina. Aber er nährt und verbreitet zugleich jenen radikalen Islamismus, der die Golfmonarchie inzwischen selbst in ihrer Existenz bedroht.

Riad vollzieht einen politischen Spagat

Es ist ein an Schizophrenie grenzender politischer Spagat, den Saudi-Arabien da vollführt. Aber auch im Westen ist man ratlos. Längst weiß man um die verheerenden Folgen der saudischen Glaubenspropaganda. Trotzdem scheint unvorstellbar, die engen Beziehungen zu der Golfmonarchie aufzukündigen. Die hektischen Beschwichtigungsversuche der Bundesregierung nach Bekanntwerden einer sehr kritischen BND-Analyse zu Saudi-Arabien haben das gerade erst wieder gezeigt.

Das hat nicht in erster Linie mit wirtschaftlichen Interessen zu tun, wie gerne geargwöhnt wird. Zwar ist das Land ein Eldorado für deutsche Exporteure und Baukonzerne, die von den pharaonischen Projekten der Saudis profitieren. Und es stimmt, dass Deutschland allein im ersten Halbjahr 2015 für fast 180 Millionen Euro Waffen dorthin verkauft hat. Aber diese Ausfuhren machen nicht einmal ein Prozent der deutschen Gesamtexporte nach Saudi-Arabien aus. Und nur ebenso viel - ein Prozent - der deutschen Öl-Importe stammen aus saudischen Quellen. Auch bei den großen Adressen der Deutschland AG wie der Deutschen Bank, Daimler oder VW haben eher Investoren aus Katar oder Abu Dhabi das Sagen als saudische Geldgeber.

Die Bedeutung Saudi-Arabiens ist vor allem strategisch. Das Land gilt trotz seiner zwielichtigen Rolle als einer der letzten Stabilitätsanker in einer ins Chaos taumelnden Region. Und als unumgänglich, um eine Lösung für den Syrienkonflikt zu erreichen - sowie für die damit verknüpfte Flüchtlingskrise. In Berlin und in anderen westlichen Hauptstädten hofft man, dass sich das Land öffnen und reformieren kann. Es ist eine äußerst vage Hoffnung. Bisher hat das Herrschergeschlecht Saud auf jede Herausforderung mit noch mehr Rigorismus reagiert. In diesem Jahr wurden in Saudi-Arabien so viele Menschen exekutiert wie seit 20 Jahren nicht mehr.

(RP)
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