Reykjavik Islands Wähler sind in Frankreich

Reykjavik · Auf der Insel wird ein neuer Präsident gewählt. Aber da ist ja noch die EM.

Die Isländer sind auf der Suche nach neuer Ehrlichkeit in der Politik. Sie haben eine gewaltige Finanzkrise hinter sich, und jüngst wurden durch die "Panama Papers" Verbindungen vieler isländischer Prominenter, darunter Präsident Olafur Ragnar Grimsson und Ministerpräsident Sigmundur Gunnlaugsson, zu Briefkastenfirmen in Steueroasen aufgedeckt. Am Sonntag wird nun ein neues Staatsoberhaupt gewählt, und Favorit ist der ruhig und gutmütig auftretende Historiker Gudni Jóhannesson.

Der 47-Jährige ist Geschichtsprofessor an der Universität Island und hatte bislang mit dem Polit-Establishment kaum etwas zu tun. Als unabhängiger Experte war er bei den Enthüllungen über Steuerparadiese im April aber gefragter Kommentator in den Medien. Der wohlhabende bürgerliche Regierungschef Gunnlaugsson, erst 41 Jahre alt, musste damals gehen, weil er ausweislich der "Panama Papers" Geld in Steuerparadiesen geparkt hatte. Er hatte zudem Island als heimlicher, angeblich ausländischer Gläubiger vier Millionen US-Dollar (3,5 Millionen Euro) in Rechnung gestellt - als Entschädigung für den Bankrott der isländischen Banken 2008.

Präsident Olafur Ragnar Grimsson (72) hatte bei Gunnlaugssons Sturz kräftig mitgeholfen, indem er ihm das politische Druckmittel Parlamentsauflösung und Neuwahlen verweigerte. Eigentlich wollte Grimsson trotz einer Amtszeit von 20 Jahren wegen der Panama-Affäre ein weiteres Mal kandidieren - das Land brauche Stabilität. Er und seine Familie hätten nichts mit der Sache zu tun, versicherte er. Dann wurde bekannt, dass auch er Verbindungen zu Panama-Geldern hatte, und Grimsson nahm von einer erneuten Kandidatur Abstand.

Jóhannessons schärfster Konkurrent, der konservative und EU-kritische Ex-Premier David Oddsson (68), ist in den Umfragen abgeschlagen. Sollte der Favorit siegen, dürfte er seine Rolle zurückhaltend auslegen. Islands Präsident solle über den Parteien stehen und sich nicht ins alltägliche Politikgeschäft einmischen, sagte Jóhannesson.

Unklar ist, wie hoch die Wahlbeteiligung ausfällt. Denn geschätzte acht bis zehn Prozent der 330.000 Isländer feuern derzeit ihre Fußballelf bei der EM in Frankreich an. Bei der Ansetzung des Wahltermins hatte niemand damit gerechnet, dass der ewige Außenseiter sich bis zur K.o.-Phase halten würde. 2012 hatten 38.140 Isländer ihre Stimmen per Briefwahl abgegeben. "Aber es gibt leider keine Zahlen darüber, wer von den diesjährigen Briefwählern bei der EM in Frankreich ist", sagt Thorleif Oscarsson aus dem isländischen Innenministerium.

(RP)
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