Gaza Israel eröffnet neue Offensive gegen Hamas

Gaza · Bei einem Luftangriff ist der Militärchef der islamistischen Organisation getötet worden. Marschiert Israel jetzt in den Gaza-Streifen ein?

Für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu muss die Entscheidung verlockend und gleichzeitig sehr schwer gewesen sein: Ahmed al Dschabari, Militärchef der radikalislamischen Hamas und einer ihrer wichtigsten Führer, stand seit rund einem Jahrzehnt ganz oben auf der Abschussliste der Israelis. Der Mann, der für zahlreiche Attentate, die Entführung des Soldaten Gilad Schalit und den seit Jahren andauernden Raketenbeschuss israelischer Ortschaften verantwortlich ist, galt als einer der gefährlichsten Feinde Israels.

Doch als Netanjahu gestern Nachmittag grünes Licht gab, Raketen auf den silbernen Kia mitten in Gaza-Stadt abzufeuern und Dschabari zu töten, der mit seinem Sohn ins Auto gestiegen war, da wusste er, dass er damit eine neue Nahostkrise auslösen würde. Mindestens eine Million Israelis, die in Reichweite der einfachen Kurzstreckenraketen der Hamas leben, sind nun dazu verurteilt, die kommenden Tage in Bunkern und Schutzräumen zu verbringen. Rund um Gaza wird nun gekämpft werden, wenn die Hamas den Tod eines ihrer wichtigsten Führer zu rächen und Israel das zu verhindern sucht.

Regional könnte Netanjahus Entscheidung zur Tötung Dschabaris die ohnehin gespannten Beziehungen mit Ägypten in eine tiefe Krise stürzen. Das Land am Nil wird seit einem halben Jahr von einem Präsident der Muslimbrüder regiert, der Mutterorganisation der Hamas.

All das waren gewichtige Gründe, die Aktion zu überdenken. Und doch gab Netanjahu seinen Militärs die Anweisung, Israels Abschreckungspotenzial gegenüber Terror-Organisationen in Gaza einmal mehr vorzuführen. Denn immer wieder hatten die radikalen Palästinenser sich jüngst Scharmützel mit Israel geliefert. Dabei sind allein 2012 bereits rund 1000 Raketen und Granaten auf Israel abgeschossen worden.

Die bisher letzte Runde in diesem Kleinkrieg hatte am Wochenende stattgefunden: Israel hatte heftig auf einen palästinensischen Hinterhalt reagiert, bei dem vier Soldaten auf einer Grenzpatrouille auf der israelischen Seite teils schwer verletzt worden waren. Am Ende waren sechs Palästinenser tot, mehr als 140 Raketen gingen auf israelische Orte nieder.

"Ich kenne keine Regierung, die solch einen Zustand hinnehmen würde", sagte Netanjahu Anfang der Woche vor 70 ausländischen Botschaftern, die er anlässlich der erneuten Eskalation in Israels Süden eingeladen hatte: "Wir haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, unser Volk zu verteidigen, und das werden wir tun." Er hielt Wort.

Gleichzeitig mit der gezielten Tötung Dschabaris verkündete Armeesprecher Yoav Mordechai, diese Aktion sei erst der Anfang. "Unser wichtigstes Ziel ist es, dem Süden Israels wieder Ruhe zu bescheren. Die zweite Absicht ist es, die Terror-Organisationen zu treffen." Kurz darauf bombardierte Israels Luftwaffe mehrere Dutzend Raketendepots der Hamas in Gaza. Mindestens acht Menschen sollen dabei getötet worden sein. Dabei wollte Israel vor allem die schweren Raketen der Islamisten treffen, mit denen die Hamas auch Tel Aviv treffen und weitere zwei Millionen Israelis gefährden könnte.

Auch eine Invasion des Gaza-Streifens, um die dort regierende Hamas zu stürzen, wollte Generalstabchef Benni Gantz nicht ausschließen: "Alle Optionen sind offen." Bei dem letzten Einsatz dieser Art waren 2008/09 etwa 1400 Palästinenser getötet und Tausende verletzt worden. Auf der israelischen Seite waren 13 Menschen gestorben. Israels Streitkräfte seien auf eine Ausweitung der Offensive vorbereitet, sagte auch Netanjahu.

Die Hamas nannte den Überraschungsangriff eine "Kriegserklärung" und gelobte Rache. Es werde eine "extrem harte Antwort" geben, kündigte ihr Funktionär Ismail Radwan an. Die Al-Kassam-Brigaden, deren Kommandeur Dschabari gewesen war, gaben sich kämpferisch. "Israel hat das Tor zur Hölle aufgestoßen", hieß es in einer Reaktion. Von den Lautsprechern auf den Minaretten der Moscheen im Gaza-Streifen ertönte diese Botschaft: "Die Antwort kommt bald."

Bundesaußenminister Guido Westerwelle zeigte sich besorgt über die Zuspitzung des Nahost-Konflikts. "Es darf nicht zu einer neuen Spirale der Gewalt kommen", sagte er. "Wir verfolgen mit sehr großer Sorge diese grenzüberschreitenden Auseinandersetzungen." Westerwelle rief alle Seiten zu "größtmöglicher Zurückhaltung" auf.

Armeesprecher Mordechai machte den Zivilisten im Süden Israels keine Hoffnungen auf eine baldige Beruhigung der Lage: "Ich schätze, dass die Auseinandersetzung diesmal länger dauern könnte."

(RP)
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