Analyse Ist Afrika noch zu retten?

Düsseldorf · Kriege in Afrika sind nicht bloß "Stammeskonflikte", sondern haben handfeste wirtschaftliche oder politische Ursachen. Wer dem Kontinent helfen will, darf daher nicht erst militärisch intervenieren, wenn der Krieg schon tobt. Er muss fordern, mahnen – und notfalls Hilfen einstellen.

Kürzlich machte ein Mann aus Zentralafrikas Hauptstadt Bangui Schlagzeilen: Er gab zu, einen anderen Mann ermordet und in Teilen verzehrt zu haben – aus Rache dafür, was man ihm und seiner Familie zuvor angetan habe. Kannibalismus am hellichten Tag. Typisch Afrika. Die Meldungen aus der Zentralafrikanischen Republik oder dem Südsudan scheinen alle Vorurteile über Afrika zu bestätigen.

Typisch Afrika? Ist die Szene aus Bangui wirklich ein Indiz dafür, dass eine Nation durchgedreht ist? Oder doch eher Sensationslust? Meist vergessen wird, dass die meisten Menschen in Zentralafrika oder im Südsudan, in Mali oder im Kongo Opfer dieser Gewalt sind. Nicht Täter. Kriege in Afrika werden in der Weltöffentlichkeit schnell als Kriege zwischen "Stämmen" (also Ethnien oder Volksgruppen) oder Religionen definiert. Tatsächlich aber haben all diese Kriege handfeste wirtschaftliche und/oder politische Ursachen. Wie in Zentralafrika, wo die muslimische Minderheit jahrzehntelang benachteiligt wurde und nun Anhänger von Milizen außer Kontrolle geraten sind.

Es lohnt sich, genauer hinzuschauen, was in Afrika passieren müsste, damit die Länder des Kontinents demokratischer und Kriege seltener werden. Gefordert sind dabei viele – in Afrika und außerhalb. An erster Stelle natürlich diejenigen Staatsoberhäupter in Afrika, die ihr eigenes Wohl weit über das ihres Volkes stellen. Die sich auf Kosten der Bürger an den Rohstoffen ihres Landes bereichern. Die keine Kritik oder freie Meinung zulassen. Die die Verfassung ändern oder Wahlen fälschen, um an der Macht zu bleiben. Denn da es nur wenige gibt, die sich in ihrer Amtszeit keines der oben genannten Vergehen zuschulden kommen lassen, fürchten sie rechtliche Konsequenzen nach dem Verlust ihrer Immunität. International oder im eigenen Land.

Ein richtiger Schritt ist daher die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, nun auch amtierende Staatschefs wie den Kenianer Uhuru Kenyatta anzuklagen. Denn Afrika braucht dringend gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit, Einhaltung der Menschenrechte, einen wirksamen Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption, wahre Demokratie und vor allem: Bildung. Denn nur wer zumindest eine Grundbildung hat, kann gesellschaftliche Prozesse erfolgreich verfolgen und bestimmte Regeln einfordern. Und wer eine Arbeit hat, hat auch viel weniger Anlass, sich einer Miliz anzuschließen. Leider aber ist die Jugendarbeitslosigkeit in Afrika hoch, der informelle und prekäre Arbeitssektor stark.

Für mehr Rechtsstaatlichkeit in Afrika müsste auch die Afrikanische Union sorgen. Bislang aber ist dieser Zusammenschluss afrikanischer Länder wenig mehr als ein Club von Staatsoberhäuptern, die sich gegenseitig vor Strafverfolgung schützen. Zwar werden relativ zügig Mitglieder ausgeschlossen, die allzu sehr gegen Menschenrechte und Demokratie verstoßen. Doch wird an anderer Stelle zugelassen, dass Staatschefs zu Vermittlern für Krisen werden, in die sie selbst verwickelt sind. Zuletzt geschehen im Südsudan: Ugandas Präsident ist zugleich Mediator für eine Regionalorganisation und schickt Truppen in das Land.

Afrika braucht integre Staatsoberhäupter. Dabei ist auch die internationale Gemeinschaft gefordert. Denn wer Afrika (nicht nur als Krisenkontinent aus den Medien) kennt, weiß, wie viele engagierte, selbstlose und mutige Menschen es dort gibt. Wie die Koordinatorin einer Frauenorganisation im Ostkongo, die sich um vergewaltigte Frauen kümmert und auch bei sich zu Hause eine Frau und deren Tochter aufgenommen hat. Wie der Journalist aus dem Tschad, der sich nicht vom Regime kaufen ließ, sondern für seine rechtschaffenen Überzeugungen ins Gefängnis musste. Wie die Frau im Senegal, die den Tod ihres Sohnes bei der illegalen Überfahrt nach Europa zum Anlass nahm, einen Verein zu gründen, der anderen Hinterbliebenen finanziell und moralisch hilft.

Es mangelt Afrika nicht an Mut. An Menschen, die sich für andere engagieren, trotz Gefahr für das eigene Leben. Diesen Menschen selbst aber mangelt es – neben Demokratie oder Meinungsfreiheit – vor allem an einem: an Unterstützung von außen. Die internationale Gemeinschaft muss ihnen eine Stimme geben, Kraft für den Widerstand gegen die (im wahrsten Sinne) Staatsgewalt. Stattdessen werden autoritäre Präsidenten mit allen Ehren empfangen oder können sich wie Idriss Déby aus dem Tschad trotz Mangels an Demokratie im eigenen Land mithilfe der Armee als Retter der Freiheit im Nachbarland Mali inszenieren.

Das Engagement der internationalen Gemeinschaft müsste schon bei den Wahlen anfangen. Nicht immer ist eine Wahl gefälscht – aber auch eine niedrige Beteiligung kann ein Indiz dafür sein, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht: dass schon im Wahlkampf eingeschüchtert wurde oder die Resignation so groß ist, dass viele erst gar nicht an die Urne gehen. Nach der Wahl muss die internationale Gemeinschaft die gute Regierungsführung einfordern, anmahnen – und im Zweifel Gegenleistungen einstellen. Zu dieser Nachsorge zählt auch, die Opposition zu stärken, die oft zwar existiert, aber keine Rechte hat.

Internationale Unternehmen dürfen – neben den Machthabern – nicht den größten Profit aus der Förderung der Rohstoffe ziehen. Das kleine Botswana hat es geschafft, sich an den Gewinnen aus dem Diamantenverkauf beteiligen zu lassen, und finanziert damit Projekte, die der ganzen Bevölkerung zugute kommen. Der riesige Kongo ist daran bislang gescheitert: Die enormen Vorkommen an Mineralien und Gold haben der Bevölkerung bislang nur einen 18 Jahre langen Krieg beschert.

Auch Deutschland hat seinen Teil zu leisten: Es reicht nicht, militärisches Engagement anzubieten, wenn der Krieg schon da ist. Vielmehr sollte Deutschland permanent die afrikanische Zivilgesellschaft stärken: damit diese sich für Demokratie, Menschenrechte und Bildung für alle einsetzt. Eine Zivilgesellschaft, die stark genug ist, ihren Teil an den Gewinnen aus den Rohstoffvorkommen einzufordern.

(RP)
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